Brünner Symposium 2016
Wie viel Vielfalt vertragen unsere Gesellschaften?
Eröffnung - Rückblick 25 Jahre
Ideen zur Problemlösung entwickeln und in die politische Meinungsbildung einbringen!
Kann man im Frühjahr 2016 bei einem deutsch-tschechischen Symposium mit dem Namen „Dialog in der Mitte Europas“ an der seit Spätsommer 2015 den ganzen Kontinent beschäftigenden Flüchtlingsfrage vorbeigehen? Das von der Ackermann-Gemeinde auf deutscher und der Bernard Bolzano Gesellschaft auf tschechischer Seite organisierte Symposium, das von 1992 bis 2006 in Iglau tagte und seither in der mährischen Hauptstadt Brünn stattfindet, griff am Palmsonntag-Wochenende diese Thematik mit der Frage „Wie viel Vielfalt vertragen unsere Gesellschaften? Der Umgang mit Flüchtlingen in historischer und europäischer Perspektive“ auf. An anderer Stelle hierzu mehr. Doch die heurige Veranstaltung bildete auch ein Doppel-Jubiläum: die 25. Veranstaltung und zum 10. Mal in Brünn. Neben dem aktuellen Thema lockten wohl auch diese Aspekte knapp 300 Interessenten (und Referenten) neben Deutschland und Tschechien auch aus Österreich, Polen und der Slowakei in die Hauptstadt Mährens – Teilnehmerrekord!
Das Jubiläum des Symposiums war daher auch beim Eröffnungsabend im Sitzungssaal des Neuen Rathauses eines der Hauptthemen in den Grußworten und Eröffnungsreden.
Das Ansehen der Veranstaltung besonders auch im Bereich der Politik beweist jedes Jahr die Präsenz der Botschafter und hoher Repräsentanten verschiedener Ministerien, die der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler begrüßen konnte. Bei dem Symposium gehe es vor allem darum, gemeinsam zurück und nach vorne zu schauen und damit zum Bau „unserer europäischen Gesellschaft“ beizutragen, verdeutlichte Kastler. Zum Tagungsthema meinte er: „Heute haben wir wieder eine weltweite Völkerwanderung. Es ist richtig und wichtig, das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu behandeln“. In Anlehnung an Aussagen aus einem Vortrag des tschechischen Theologen Tomáš Halík ergänzte Kastler, bezugnehmend auf die Flüchtlingswelle: „In der Gestalt des Islam kehrt die Religion ins säkulare Europa zurück. Das ist für Christen auch eine Herausforderung“.
Zum Jubiläum gratulierte der Botschafter der Tschechischen Republik in Deutschland Tomáš Podivínský. Er betonte, dass bei dem Symposium „Themen des Zusammenlebens der beiden Völker“ diskutiert wurden. Mit Blick auf das aktuelle Thema machte er deutlich, dass Ängste und Bedürfnisse auf beiden Seiten wahrgenommen werden müssten, Hilfen natürlich zu leisten seien, es aber auch Grenzen gebe. Im Rückblick auf die tschechische Geschichte erinnerte er daran, dass in seinem Land viele Völker vereint gewesen seien, die erste tschechoslowakische Republik viele Asylsuchende aufgenommen habe – ebenso nach der Wende die CSFR Flüchtlinge im Rahmen des Bürgerkrieges auf dem Balkan. Bei der aktuellen Migrationswelle ist für Podivínský in erster Linie unmittelbare Hilfe in den Krisen- und Kriegsregionen angebracht bzw. auch eine Verstärkung der Entwicklungshilfe in Afrika und Asien. „Eine Schlüsselposition nimmt auch Griechenland ein“, blickte der Botschafter auf Europa, „die Tschechische Republik ist bereit, die nötige Hilfe zu leisten“.
„Das Brünner Symposium hat seit langem einen festen Platz im deutsch-tschechischen Dialog“, stellte der deutsche Botschafter in der Tschechischen Republik Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven in seinem Grußwort fest. Mit Blick auf das „Jahr der Versöhnung“ in Brünn meinte er: „Brünn ist zum Symbol der Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen geworden“. Er verwies auch auf ähnliche „Versöhnungsgesten“ in anderen Orten, auf die Satzungsänderung bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft und den jüngsten Besuch des tschechischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka in München. Mit Sorge sieht er die „aufgeheizte Situation und Diskussion, die die Gesellschaft zu spalten droht“ und mitunter in Fremdenfeindlichkeit mündet. In der Beschäftigung mit der Flüchtlingsfrage konstatierte er eine „Meinungskluft zwischen Ost und West“, die sich auch in unterschiedlichen Konzpten (Abschottung vs. Streuung/Reduzierung) ausdrückt. Der Botschafter plädierte für eine „nachhaltige Lösung“, wobei der Umgang mit dem Thema sachlich und rational sein sollte. „Migration und Integration werden Europa noch lange beschäftigen“, fasste Freytag von Loringhoven zusammen.
Der erst kurz im Amt befindliche österreichische Botschafter in Tschechien Dr. Alexander Grubmayr beschrieb seine Beobachtungen in Tschechien - „Ängste vor einer Bedrohung der nationalen Identität“. Trotz dieser Flüchtlings- und Migrationsdebatte „dürfen wir unsere Werte nicht aus den Augen verlieren“, so Grubmayr, der für die künftigen Generationen keine „unüberwindbaren Grenzen“ wünschte. Auf das Brünner „Jahr der Versöhnung“ verweisend empfahl er, „den Weg der guten Nachbarschaft weiter zu gehen und die Belastungen gemeinsam zu schultern“.
Die verbindenden Fundamente, die durchaus mit Schmerzen und Wunden verbunden sind, nannte der tschechische Kulturminister und Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde Daniel Herman als Basis des Zusammenlebens von Völkern. „Auf diesen Brücken kann man gehen und ein gemeinsames europäisches Haus bauen“, meinte er und verwies auf die Leistungen der Vorfahren. Wichtig für ihn ist aber auch, „den Schmutz der Bosheit aus unseren Herzen zu vertreiben“. Und bei der Vielfalt des Landes sieht er keinerlei Probleme, vorwärts zu kommen.
Die Entwicklung des Brünner Symposiums beschrieb aus Sicht der Ackermann-Gemeinde deren Ehrenvorsitzender Dr. Walter Rzepka. Nach der Wende in Tschechien sei in der damaligen Führung der Ackermann-Gemeinde (Bundesvorsitzender Herbert Werner, Generalsekretär Franz Olbert, Geistlicher Beirat Anton Otte) der Entschluss gereift, „nicht nur übereinander zu reden, sondern miteinander zu sprechen“. Ähnlich habe das auf tschechischer Seite die Bernard Bolzano Stiftung gesehen - Ergebnis war das erste Symposium in Iglau im April 1992 zum Thema „Verschwiegene Minderheit“. Vor allem die Spannungen im (sudenten)deutsch-tschechischen Verhältnis sollten bei dem Symposium thematisiert und diskutiert werden, ohne dabei Themen oder Personen auszugrenzen - vielmehr mit Empathie dem anderen zuzuhören. Das schnelle Ansehen der Veranstaltung bewies eine Grußbotschaft des damaligen tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel zum zehnjährigen Jubiläum. Mit der Verlegung nach Brünn sei der europäische Gedanke stärker ins Zentrum gerückt. Und wie in den Gründungsjahren möchte das Symposium der deutsch-tschechischen Nachbarschaft wie auch Europa und den Europäern einen Dienst erweisen: erstens durch das Diskutieren von Problemen, zweitens durch das Entwickeln von Ideen zur Lösung dieser Probleme und drittens durch das Einbringen dieser Ideen in die politische Meinungsbildung. „Tun wir das auch in Zukunft“, schloss Rzepka mit einem Blick nach vorne seinen Vortrag.
Der Mitbegründer des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds und tschechische Nationalkoordinator der Visegrád-Staaten Tomáš Kafka würdigte die Iglauer/Brünner Konferenz als „Leitfaden bzw. Bild für den tschechisch-sudetendeutschen Dialog“ bzw. für mitteleuropäische Zusammenarbeit und Begegnungen. Auch für die deutsch-tschechische Erklärung von 1997 habe das Symposium wichtige Vorarbeiten geleistet. Als bedeutende Leistungen nannte Kafka den Beitrag für die demokratische Entwicklung in Tschechien, die Stellungnahmen der vielen Teilnehmer, die Entstehung weiterer Projekte, das hohe und stets steigende Niveau der Tagung. Das sei aber auch eine Herausforderung für die Zukunft. „Der Standard des Anspruchs und Denkens soll hochgehalten werden“, stellte Kafka fest. In gewisser Weise sah er auch eine „Angst vor der Gegenwart und Zukunft“ und schloss daraus die Aufgabe, dieser zu begegnen, sich damit auseinander zu setzen. Wichtig sei dabei, „die Vielfalt der Blicke und Themen weiterhin im Auge zu behalten“ und diese dann kreativ zu bearbeiten und zu diskutieren.
Aus Sicht der Bernard Bolzano Gesellschaft blickte deren Vorsitzender Dr. Matěj Spurný auf die Historie des Symposiums zurück. In den ersten Jahren hätten die Vertreibung der Deutschen und die Minderheiten eine dominante Rolle gespielt, später ganz Mitteleuropa betreffende Fragen. Zur diesjährigen Tagungsthematik meinte Spurný: „Wir dürfen nicht zulassen, dass nach der jüdischen Frage die Islamfrage beginnt. Der Islam ist hier, das ist eine Tatsache.“ Deshalb gehe es auch um den richtigen Umgang mit dieser Frage und um entsprechende Handlungen. „Die Ackermann-Gemeinde und die Bernard Bolzano Gesellschaft haben die Erfahrung, auch einen schwierigen Dialog zu führen. Dieses Kapital sollten wir zur Lösung der heutigen Probleme nutzen“, fasste er zusammen.
Nach diesen Grußworten und Würdigungen wurde es Zeit, das Doppeljubiläum – vor allem natürlich das 25-jährige Bestehen des Symposiums – auch in Form einer symbolischen Handlung zu feiern. Die Redner und Verantwortlichen schnitten eine Jubiläumstorte mit der Aufschrift „25 Jahre Dialog in der Mitte Europas“ an, welche die gut 300 Teilnehmer, nachdem sie mit einem Glas Sekt angestoßen hatten, dann genießen konnten.
Markus Bauer
Podiumsgespräch zum Jahr der Versöhnung
„Das war etwas, das man nicht vergessen kann“
Im letzten Jahr hatte es Bürgermeister Petr Vokřál beim Symposium angekündigt: das Brünner Jahr der Versöhnung mit der Wallfahrt der Versöhnung als Höhepunkt. Im Rahmen eines Rundgesprächs blickten nun Organisatoren und Teilnehmer auf diese Veranstaltung zurück, die an die Ereignisse in Brünn im Zweiten Weltkrieg und danach erinnern und zu deren Aufarbeitung beitragen sollte.
Bereits am Eröffnungsabend ging Bürgermeister Vokřál in seinem Grußwort auf das „Jahr der Versöhnung“ ein, das die Stadt Brünn 2015 organisiert hatte. Er sprach das lange Miteinander von Deutschen, Tschechen und Juden in Brünn ebenso an wie den Verlust der Juden, Roma und der Deutschen im 20. Jahrhundert. „Diese Tragödie liegt immer noch über der Stadt. Doch eine Stadt des 21. Jahrhunderts muss dies überwinden“, begründete er das „Jahr der Versöhnung“, mit dem aller Opfer in Brünn im und am Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht werden sollte - „erstmals auch der deutschsprachigen Bewohner Brünns“. Einheimischen hätten gleichermaßen positiv wie negativ reagiert, aus dem Ausland habe es nur positive Rückmeldungen gegeben, so der Primator. Höhepunkt sei die Wallfahrt der Versöhnung gewesen – in umgekehrter Route wie 1945 der Brünner Todesmarsch, von Pohrlitz nach Brünn, wo dann eine Erklärung verlesen wurde. Diese Aktion sollte, so Vokřál, auch deutlich machen, dass sich solche Tragödien nicht wiederholen dürfen. Eine Neuauflage der Wallfahrt und des Festivals mit zahlreichen Veranstaltungen soll es heuer und auch in den nächsten Jahren geben – auch unter dem Aspekt „Heimatverlust – Heimat neu finden“ bzw. „Vertreibung“. Zur momentanen Situation versprach der Oberbürgermeister, potenzielle Flüchtlinge in seiner Stadt willkommen zu heißen – trotz der „Welle des Hasses gegen Flüchtlinge“. Er könne nicht verstehen, „dass das Verständnis für Flüchtlinge so wenig in der Bevölkerung verwurzelt ist“. Daher sei auch weiterhin ein intensiver Dialog nötig.
Am Samstagnachmittag war dann sogar ein Podiumsgespräch diesem Thema gewidmet. „Am bewegendsten war, als wir beim Versöhnungsmarsch nach Brünn reinkamen – die Masse an Menschen und das Läuten der Kirchenglocken“, schilderte die Brünner Schriftstellerin Dr. Kateřina Tučková. „Das war etwas, das man nicht vergessen kann“, pflichtete der Blogger Jaroslav Odstrčilík bei, der im Jahr 2006 mit zwei Studienfreunden zum ersten Mal den umgekehrten Weg des Brünner Todesmarsches gegangen ist. Er war auch froh, dass nun auch noch Zeitzeugen mit dabei waren und zur Auseinandersetzung mit diesem Thema zur Verfügung standen. Auch der Brünner Stadtrat Petr Kalousek empfand es als die „stärksten Momente, als die 1000 Menschen auf dem Weg nach Brünn“ waren.
Wie es eigentlich zu dieser Idee gekommen sei, wollte der Moderator Tomáš Lindner, Journalist aus Prag, von den Podiumsteilnehmern wissen. „Die Stadt Brünn vermisste etwas. Alle wussten, dass es eine deutsche Gemeinde gab. In der Schule und zuhause wurde aber darüber nicht gesprochen. Daraus erwuchs das Engagement in der Kommunalpolitik“, blickte Kalousek zurück mit dem Hinweis auf Gruppen von Menschen, die sich schon lange mit diesem Thema beschäftigten. So entstand dann die Idee des Jahres der Versöhnung, mit dem an alle Opfer der Jahre 1939 bis 1945 erinnert werden sollte. Da es eine Veranstaltung der Stadt Brünn werden sollte, wurden der Stadtrat und auch der Oberbürgermeister angesprochen. Ein Wechsel im städtischen Gremium im Herbst 2014 erleichterte die breite Unterstützung auch über diejenigen Räte hinaus, die bereits früher an Gedenkveranstaltungen teilgenommen hatten, ergänzte Odstrčilík. Die bisherigen Gedenkfeiern richteten übrigens Einrichtungen und Organisationen der Bürgerschaft aus. „Nun hat sich die Stadt Brünn zu dieser historischen Verantwortung bekannt“, brachte es der Blogger auf den Punkt. Auf die zu diesem Anlass erarbeitete Erklärung wies Kateřina Tučková hin, wobei Dr. Mojmír Jeřábek stark in die Ausarbeitung einbezogen wurde. Natürlich sei danach, so Kalousek, noch Überzeugungsarbeit bei Stadträten nötig gewesen, doch letztendlich hat dieses Gremium dann die Erklärung und das Konzept der Gesamtveranstaltung verabschiedet, „das Papier hat seine Gültigkeit für immer“, freute sich Stadtrat Kalousek noch ein Jahr später.
Auch die Reaktionen der Bevölkerung schilderten die drei Podiumsteilnehmer. Die Jugend habe, so Tučková, bereits vor zehn Jahren nach den Ereignissen rund um den Brünner Todesmarsch gefragt. Zudem hat die Schriftstellerin mit ihrem Buch „Die Geschichte von Gerta Schnirch“ den Todesmarsch in Romanform beschrieben, doch bei Lesungen auch negatives Feedback bekommen. „Damals wussten viele nicht, was passiert. Neun von zehn Menschen waren sehr konfrontativ“, schilderte Odstrčilík die Erfahrungen vor zehn Jahren. Doch Veröffentlichungen und Veranstaltungen, Berichte von Zeitzeugen sowie der Generationswechsel hätten seither in der Einstellung der tschechischen Bevölkerung sehr vieles verändert, „die Menschen haben in den zehn Jahren erfahren, was passiert ist“. Odstrčilík verwies auch auf negative Rückmeldungen hochrangiger tschechischer Politiker, konkret auf die Kampagne von Staatspräsident Miloš Zeman zur Flüchtlingskrise.
Die Bedeutung von Künstlern aus allen Bereichen bei der Aufarbeitung des Themas bzw. beim Programm des Jahres der Versöhnung betonte Kateřina Tučková. „Kunst hat das Potenzial, den Menschen etwas mit Emotionen darzustellen“, meinte sie und wies schon mal auf das Programm 2016 (zehntägiges Festival vom 20. Mai bis 2. Juni mit dem Versöhnungsmarsch am 28. Mai als Höhepunkt) hin. „Es soll nicht bei dem einen Jahr bleiben. Wir wollen das Thema aufrechterhalten und aktuelle Themen miteinbeziehen“. Darüber hinaus sollen heuer Schulklassen aus den Partnerstädten Brünns in das Programm integriert werden, erklärte Odstrčilík, insgesamt soll es schrittweise weiterentwickelt werden. „Das Thema Vertreibung ist aktuell“, bilanzierte der Blogger.
Markus Bauer
Drei Podiumsgespräche zur Flüchtlingsthematik
Mit Rationalität und Solidarität die Flüchtlingsthematik angehen!
Das Hauptthema des Brünner Symposiums „Wie viel Vielfalt vertragen unsere Gesellschaften? Der Umgang mit Flüchtlingen in historischer und europäischer Perspektive“ wurde in drei Arbeitseinheiten behandelt: Zunächst ging es um „Die Reaktionen auf Zuwanderung als Spiegel unserer Gesellschaften“. Dann folgte ein „Perspektivwechsel: Flucht, Aufnahme und Integration als Erfahrung“, und zum Schluss suchte man Antworten auf die Herausforderungen: „Wer löst die aktuelle Flüchtlingskrise? Aktiv auf lokaler Ebene und Hoffen auf Europa?“
Moderiert vom Prager Journalisten Luboš Palata bezogen im ersten Panel die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi aus Paderborn, der tschechische Kulturminister Daniel Herman, der österreichische Theologe Prof. Dr. Paul Zulehner und der in Warschau tätige Journalist Adam Krzeminski Position. Auf die Voraussetzungen für die millionenfache Flucht wies Mohagheghi hin und stellte fest, dass auch Europa daran „nicht wenig beteiligt“ sei, ja zum Teil emotional mit dem Thema spiele. Daher plädierte sie dafür, die Problematik rational anzugehen. Sie hält ein „christlich-islamisches Europa“ für möglich, auch aufgrund vieler Gemeinsamkeiten, auf die man bauen könne. Unterschiede müssten im Dialog, in Diskussionen und Begegnungen aufgezeigt werden – auch bei kritischer Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition. Die Theologin plädierte für eine „Arbeit gegen irrationale Ängste“ und wandte sich gegen den IS-Terror. „Eine monokulturelle Gesellschaft wird es nicht mehr geben“, lautete ihr Fazit – und in diese Richtung gebe es bereits viele Zeichen und Schritte.
Für Tschechiens Kulturminister Herman geht es auch darum, Visionen zu entwickeln und diese umzusetzen. Er sprach von einem „Kultivieren der Politik in Europa“, hierzu sei auch eine Klarheit über die eigenen Werte wichtig. Herman erinnerte an die von Papst Johannes Paul II. initierten interreligiösen Treffen und sprach sich für den Brückenbau zwischen den Religionen „auf Basis der uns verbindenden Dinge“ aus. Er ging auch auf das über viele Jahrhunderte gute Zusammenleben zwischen Tschechen und Böhmen/Deutschen mit gegenseitiger Bereicherung ein, das dann im 19. und vor allem 20. Jahrhundert einen „brutalen Schnitt“ erfahren habe.
Von derzeit drei Gefühlslagen in der Bevölkerung sprach Professor Zulehner: Ärger (mit Hass als Folge), Zuversicht und – dazwischen – rationale Sorge. Für den Theologen sind zurzeit zu viele Emotionen im Spiel. „Wird es der europäischen Politik gelingen, dass die Bevölkerung nicht in die Ecke der Angst abdriftet? Wodurch kann es uns gelingen, dass wir nicht in eine Kultur der Angst hineingeraten?“, fragte Zulehner und gab die Antwort: durch Anstrengungen in der Politik, in der Pfarrgemeinde, in der Bildungsarbeit usw. Zuversicht vermitteln bzw. erzeugen. Nach den Religionskriegen habe bis heute – trotz einiger islamischer Minderheiten – das Bild eines „monocoloren Europas“ bestanden, beschrieb Zulehner. „Wir sind ein weltanschaulich buntes Europa geworden“, stellte der Theologe fest. Er sprach zugleich von einem zurzeit „schwachen Christentum in Europa“, wünschte aber auch eine „europäische Exegese des Islam“. Für die aktuelle Diskussion empfahl Zulehner insbesondere Solidarität und (Gott)Vertrauen und verband dies mit dem Wunsch, „dass Europa auf der Spur belastbarer Solidarität weiterkommt“. Nach dem Krieg in Syrien erwartet der Theologieprofessor einen „Migrationsdruck aus Afrika“, wobei er hier weniger von Armuts- als vielmehr von „Hoffnungsflüchtlingen“ sprechen möchte.
Auf eine nicht nur in mehreren Ländern Mittel- und Osteuropas, sondern auch in den USA, Frankreich und Deutschland festzustellende „konservative Konterrevolution“ bzw. einen „Kalten Bürgerkrieg“ wies Adam Krzeminski hin. „Die Werte unserer ostmitteleuropäischen Wende werden in Frage gestellt“, die Folge seien „gespaltene Gesellschaften“. Wichtig für den polnischen Journalisten ist es, „extreme Kräfte in Schach zu halten“. Für das 21. Jahrhundert sieht Krzeminski den Rückgang nationaler Aspekte – auch vor dem Hintergrund weiterer Flüchtlingsströme. „Mitteleuropa gibt kein gutes Bild in dieser Krise. Es ist schwierig Vertrauen zu schaffen in einem Europa, das sehr ungleichzeitig ist“, meinte der Journalist zusammenfassend und verwies auf „Leute, die im 21. bzw. 19. Jahrhundert leben“. Sein Rat lautete, christliche, islamische sowie Werte der Aufklärung in Einklang zu bringen.
In der zweiten Arbeitseinheit standen persönliche Erfahrungen mit Flucht, Aufnahme und Integration im Mittelpunkt. Dazu äußerten sich unter der Moderation des Pragers Historikers Ondřej Matějka der Ehrenvorsitzende der Ackermann-Gemeinde und frühere Generallandesanwalt Dr. Walter Rzepka, die Journalistin Ludmila Rakušanová, der Historiker Dr. Konstantinos Tsivos und der aus Afghanistan stammende Elektroinstallateur und Buchautor Hassan Ali Djan, der heute in München lebt.
Als „Objekt staatlicher Maßnahmen“ sieht sich Walter Rzepka bei der Erinnerung an die Vorgänge im Juni 1945, als er beim Besuch seiner Tante im Riesengebirge als 13-jähriger Bub innerhalb von zwei Stunden zum Verlassen der Heimat aufgefordert wurde und schließlich Anfang August nach Thüringen kam. „Von Integration konnte man damals nicht sprechen. Beide Beteiligten des Integrationsprozesses waren nicht vorbereitet: die Vertriebenen wollten wieder nach Hause, die Einheimischen haben sich abgeschottet, weil sie selbst vom Krieg betroffen waren (tote Angehörige, Verluste durch Luftangriffe etc.)“, beschrieb Rzepka die Distanz am Anfang. Erst als deutlich wurde, dass es so schnell keine Rückkehr geben werde, erfolgte allmählich eine „Verankerung“ - schneller natürlich bei Jugendlichen. Positiv begleitet wurde dies durch gesetzliche und verfassungsrechtliche Grundlagen (Grundgesetz Art. 116, Lastenausgleich). „Von da an herrschte ein Wir-Gefühl zwischen Einheimischen und Vertriebenen“, fasste Rzepka diese Phase zusammen. Nur bedingt, so Rzepka, sei die damalige Situation (sehr viele Gemeinsamkeiten) mit der jetzigen vergleichbar. „Heute müssen wir viel mehr übersetzen“, deutete er Unterschiede in der Sprache, Kultur, Qualifikation und Religion an.
Ganz anders waren die Rahmenbedingungen bei Ludmila Rakušanová im Prager Frühling 1968. „Aus Liebe zum damaligen Freund und heutigen Ehemann“, bekennt sie, der kurz nach dem Einmarsch der Truppen einen sowjetischen Panzer mit einem Stein beworfen hatte und daher zur Flucht gezwungen war. Das Paar landete – im Exil bzw. Asyl – in Deutschland. Die erste Zeit hier war durch die Sprachbarriere etwas erschwert, mittels der Gewerkschaft (IG-Metall) knüpfte das Paar dann Kontakte, so dass Ludmila Rakušanová nach einem Sprachkurs am Goethe-Institut ein Studium an der LMU in München aufnehmen und ihr Mann als Fotograf beruflich Fuß fassen konnte. „Es war eine freundschaftliche Aufnahme, auch unterstützt durch die Sudetendeutschen“, blickte sie zurück. „Ich blieb in Europa, im benachbarten Land“, schlug die Journalistin die Brücke zu heute und erinnerte an die Integration von ca. 60.000 Vietnamesen im Jahr 1989 in der Tschechoslowakei, weshalb ihr Heimatland über Integrationserfahrungen verfüge.
Als Mitglied der sozialistischen Partei in Griechenland hat Konstantinos Tsivos in der damaligen CSSR studiert und hier nach dem Studium seine spätere Frau kennengelernt. Doch zum Militärdienst musste er ins Heimatland zurück, wo er fünf Jahre lebte, dann aber 1994 zurück nach Tschechien ging („Die Alternative in Tschechien war besser“). Als Lehrer in einem Gymnasium arbeitete er und hatte zur dortigen griechischen Gruppe (Angehörige von ca. 12.000 bis 13.000 Griechen, die nach dem Bürgerkrieg in Griechenland in Tschechien Aufnahme fanden) Kontakt. Aufgrund gemischter Ehen zwischen Griechen und Tschechen blieben viele in der Tschechoslowakei bzw. Tschechien. „Ich habe das ganze Erwachsenenleben hier verbracht. Ich bin dankbar für die Bedingungen, die sich angeboten haben. Es waren und sind gute Lebensbedingungen hier in Tschechien, dafür bin ich diesem Land dankbar“, fasste Tsivos diesen Teil seines Lebens zusammen. Wenig Verständnis hat er für die vielfach negative Stimmung gegenüber den Flüchtlingen in Tschechien. „Das hat mich unangenehm überrascht.“
Eine weite Flucht – von Afghanistan über den Iran, die Türkei und Griechenland nach Deutschland – hatte im Jahre 2005 als 16-jähriger Junge Hassan Ali Djan. Er berichtete, wie er nach dem Tod seines Vaters – er selbst war da erst elf Jahre alt – für seine in einem Bergdorf lebende Familie sorgen sollte: zunächst als Hirte, dann (illegal) am Bau in Iran. Schließlich reifte in ihm im Alter von 16 Jahren die Entscheidung, nach Europa zu gehen. Versteckt in einem LKW-Ersatzreifen gelangte er von Griechenland nach München. „Ich konnte atmen, aber mein Körper war tot“, beschrieb er die Situation nach der Ankunft dort. Aber er wollte nicht aufgeben, er war ja die „Lebensversicherung für die Familie“. Hier angekommen, wusste er zunächst – er war hier ja Analphabet – nicht, wo er überhaupt war. „Die Leute waren sehr hilfsbereit“, blickt Ali Djan auf diese Phase zurück, als er nur wenig Orientierung hatte und auf Unterstützung angewiesen war. Für sich entschied er aber, die deutsche Sprache zu erlernen – und dann einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung zu machen. Nachdem zunächst sein Asylantrag abgelehnt worden war, reichte er mit Hilfe seines Vormunds Widerspruch ein – nach eineinhalb Jahren erhielt er das Bleiberecht. „Ich wollte was erreichen“, fasste Ali Djan zusammen, der seine Erfahrungen inzwischen in Buchform veröffentlicht hat. „Ich bin dankbar, dass ich in diesem Land gelandet bin, ich fühle mich quasi wie neu geboren!“ Auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat er erhalten, für ihn die Bestätigung, „dass ich heute hier Fuß gefasst habe.“ Unzufrieden ist er mit der aktuellen Situation der Flüchtlinge, die derzeit fehlende Solidarität in Europa missfällt ihm, zumal für ihn diese Herausforderung nur auf europäischer Ebene zu schaffen ist. „Integration hat mit dem Islam nichts zu tun, auch die Aufnahmegesellschaft soll von den Flüchtlingen lernen“, brachte es Ali Djan zum Schluss auf den Punkt – verbunden mit der Hoffnung, dass es für die diversen kriegerischen Auseinandersetzungen vernünftige Lösungen geben möge – für ihn am besten durch die Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsgebieten.
Im dritten Schritt ging es schließlich um die Frage „Wer löst die aktuelle Flüchtlingskrise? Aktiv auf lokaler Ebene und Hoffen auf Europa?“ Dazu äußerten sich, moderiert vom BR-Journalisten Sebastian Kraft, der Wiener SPÖ-Abgeordnete Omar Al Rawi, der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Dr. Christoph Bergner, Dr. Tomáš Urubek vom Tschechischen Innenministerium, die Brünner Bürgerrechtlerin Dr. Anna Šabatová und die slowakische Abgeordnete Magdaléna Vášáryová.
„Wir vollzogen eine Novellierung der Bauordnung, um Menschen unterzubringen“, sprach Al Rawi an. Solidarität und ein Hinhören auf die Kommunen („viel mehr Pragmatismus“) empfahl der aus dem Irak stammende Politiker ebenso wie Rationalität, Klar- und Weitsicht, Mut und Dialog. Aber auch die globale Situation dürfe man nicht aus den Augen verlieren.
Auf die Unterstützung und Hilfen in den Herkunftsländern seitens der Tschechischen Republik verwies Dr. Tomáš Urubek, aber auch auf viele Aktivitäten in Tschechien selbst, wo eine halbe Million Ausländer leben, darunter auch Asylsuchende. Verantwortliche auf regionaler Ebene seien vorbereitet auf eine mögliche höhere Zahl von Flüchtlingen. Er erläuterte die von der tschechischen Regierung geplanten Schritte – vor allem eine Umverteilung, die Beteiligung Tschechiens an der EU-Vereinbarung mit der Türkei und die Entsendung von Experten zum Schutz der EU-Außengrenzen. Auch Urubek bejahte die Solidarität, fragte abe, ob „wir in Europa fähig sind, eine Million Flüchtlinge zu integrieren“, die künftig eventuell auch aus dem Jemen oder Libanon kommen. Er sieht „gemischte Migrationsströme“, d.h. Asylbewerber und auch Bewerber, die diese Aspekte nicht erfüllen.
Als „viel restriktiver als in Deutschland“ sah Dr. Anna Šabatová die tschechische Migrantenpolitik, zumal die meisten Ausländer nach dem normalen Aufenthaltsrecht in Tschechien leben. „In den letzten Jahren waren es unter 1000 Asylbewerber“, stellte sie fest. Dabei gebe es viele Beispiele für gelungene Integration und NGOs, die hier aktiv sind. Besonders seit dem vergangenen Jahr, nach der Zuspitzung, seien Ehrenamtliche aus Tschechien entlang der Balkanroute aktiv – auch „aus Frustration, weil man in Tschechien keinen Flüchtlingen vor Ort helfen kann“, so die Bürgerrechtlerin. Sie kritisierte, dass es dem Staat nicht gelungen sei, der Bevölkerung die Angst vor den Flüchtlingen zu nehmen. „Die Tschechische Republik hat sich als Staat ganz anders im Bereich Sicherheitsverwaltung verhalten als alle anderen Länder“, stellte sie ferner fest.
Auf den Anteil von 14 Prozent Minderheiten in der Slowakei und - damit verbunden - viele Kulturen und Religionen wies Magdaléna Vášáryová in ihrem Statement ebenso hin wie auf die Aufnahme von Flüchtlingen und deren gelungene Integration in der Slowakei in der Vergangenheit. Aktuell habe der jüngste Wahlkampf mit dem Auftreten einer radikalen Partei eine Stimmung gegen Flüchtlinge erzeugt, so die Abgeordnete. Ferner habe die Haltung des benachbarten Ungarn die Slowaken beeinflusst. „Wir sind nicht vorbereitet“, beschrieb sie die Lage. Zudem habe es auf Dörfern Abstimmungen gegen die Aufnahme von Asylsuchenden gegeben. Als Defizit sah sie auch, dass keine entsprechenden Strukturen aufgebaut wurden – auch weil sich die Regierungsbildung noch hinzieht. Nur NGOs seien an einigen Grenzabschnitten aktiv und stehen dort für Hilfeleistungen bereit. „Die Mitbürger haben das Problem erst wahrgenommen, als es die Balkanroute gab. Und da war es ein Schock für die Gesellschaft, weil sie nicht informiert war“, nannte Vášáryová auch mangelnde Information als Grund - wobei seitens der Medien und sozialen Medien in der damaligen Phase vor allem Panik verbreitet wurde.
Ein Engagement auf allen Ebenen – Europa, Nation, Kommune – hält Dr. Christoph Bergner für nötig: großes zivilgesellschaftliches Engagement und staatliche Anstrengung. Als eigentliche Herausforderung – auch angesichts der AFD-Wahlergebnisse – sieht der Ex-Ministerpräsident jedoch, zu verhindern, dass sich Mehrheiten gegen die europäischen Werte bilden. Zugleich ist Bergner ein Anliegen, dass die Bevölkerung nicht vom Druck der wohl noch weiter nach Europa und Deutschland kommenden Flüchtlinge überfordert wird. „Hilfe, so rationell wie möglich. Unterscheidung, auch wenn sie oft schwierig ist, zwischen Schutz- und nicht Schutzbedürftigen. Aufnahme und Integration so, dass die Leute möglichst rasch Bestandteil unserer Gesellschaft werden. Akzeptierung unterschiedlicher Kulturen - und vor allem: Vertrauen schaffen!“ Diese konkreten Vorschläge unterbreitete Bergner, wobei ihm auch bewusst ist, dass die Flüchtlingskrise auf der lokalen Ebene „eine große Bewährungsprobe für die kommunale Selbstverwaltung“ darstellt. Prinzipiell wünscht sich Bergner auch eine europäische Lösung, wenngleich er die Verteilung auf die EU-Staaten „problembehaftet“ sieht.
Markus Bauer
Gottesdienst
Versöhnung mit Jesu Hilfe möglich!
Zum Iglauer bzw. inzwischen Brünner Symposium gehört traditionell auch der Gottesdienst – am Palmsonntag-Wochenende für praktizierende Katholiken ja selbstverständlich. In der Brünner Jesuitenkirche zelebrierten fünf Priester mit Monsignore František Koutný aus Brünn, Monsignore Anton Otte aus Prag und Prof. Dr. Paul Zulehner aus Wien als Hauptzelebranten den Vorabendgottesdienst zum Palmsonntag. Monsignore Koutný erklärte in seiner Predigt, dass – mit Jesu Hilfe – Versöhnung immer möglich sei. Und Monsignore Otte machte in seiner kurzen Ansprache am Ende des Gottesdienstes vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise deutlich, dass Christen ein Europa wollen, „das stark genug ist, um auch schlimme Krisen zu überwinden“. Er dankte dem Chor Kantiléna aus Brünn, der zum wiederholten Male die Eucharistiefeier festlich umrahmte, sowie den Konzelebranten. Der geistlichen Feier schloss sich dann die weltliche, d.h. der Empfang auf der Burg Spielberg, an.