Westböhmische Metropole in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas
Dr. Kateřina Kovačková stellt ihre Heimatstadt vor:
Pilsen/Plzeň ist eine gute Adresse, wenn man eine gewisse Abenteuerlust, Freude am Neuentdecken des als Industriestadt verschrienen Ortes und Aufgeschlossenheit mit im Reisegepäck führt. Ein Versuch, dem Leser Lust am Besuchen und Reisen gen den nicht allzu fernen Osten zu machen.
Als Kind empfand ich meine Heimatstadt Pilsen wie folgt:
„Missgelaunte Menschen, die immer irgendwo in einer Schlange auf irgendetwas warten und durch graue Straßen mit bröckelnden Fassaden stumpf laufen.“
Heute stelle ich mit Freude fest, dass Pilsen anders geworden ist. Das Bild der Stadt hat sich gewandelt: Der Betrachter findet sein Gefallen (oder auch nicht) an den drei goldenen Brunnen auf dem Platz, die sich durch Farbe und Form von den manierlichen Markthäusern abheben; auch die einst so verrußten Škoda-Werke besitzen ihre eigene, nicht zu gering zu achtende Poetik. Pilsen ist eine Schönheit – auf den zweiten Blick.
Die Stadt ist nicht anbiedernd lieblich, nicht pittoresk malerisch, und es wäre verkehrt, es aus ihr machen zu wollen. Das Schöne in dem weniger Ansehnlichen und Gefälligen zu suchen und zu finden, kann zu einer spannenden Entdeckungsreise werden. Für den interessierten Besucher, der Land und Leute wirklich ein bisschen kennenlernen will, ist es zweifellos ein Gewinn, dass die Stadt Pilsen nicht übermäßig konsumtouristisch hochstilisiert ist. Man sieht ihr ihre industrielle Vergangenheit an, und das ist auch gut so - sie hat sich somit noch etwas von ihrem authentischen Charme beibehalten. Da gibt es zum Beispiel Cafés - leider nur noch wenige dieser Sorte -, in denen man einen ‚Türkisch‘ (türkischen Kaffee böhmischer Art) und ein ‚Särgchen‘ mit Schlagsahne (es heißt wirklich so und ist heiß begehrt) am deckenlosen Abwischtisch genießen kann. Da gibt es Eckkneipen, in die man auf ‚Eines‘(ein 0,5 l-Bier) einkehren und sich ungeniert unter das Panoptikum der westböhmischen Metropole mischen kann.
Pilsen setzt seine ganz eigenen Akzente. Man kann sich auf das vielschichtige kulturelle Angebot der Stadt während ihrer künftigen ‚Kulturherrschaft‘ wirklich freuen. Schon jetzt gibt es keinen Mangel an kulturellen Veranstaltungen, und nächstes Jahr am 17. Januar, wenn Pilsen offiziell zur Kulturhauptstadt Europas gekrönt werden wird (und die vier frisch geweihten Glocken der Bartholomäus-Kathedrale ertönen werden), geht es richtig los: Im Februar erwartet die Besucher ein Lichterfestival – Lichtinstallationen an bekannten und touristisch so gut wie gar nicht besuchten Orten (zum Beispiel im Trolleybus-Depot). Im März finden ‚Smetanovské dny‘ (Smetana-Tage) statt, die bereits seit dreißig Jahren Musikliebhaber aller Genres und Generationen nach Pilsen locken. Im April schließen sich die ‚Bayerischen Tage‘ an, die die deutsch-tschechische Zusammenarbeit im kulturellen Bereich einem breiteren Publikum vorstellen wollen. In der Hochsaison von Mai bis August gibt es unter anderem auch ein ‚Roma-‘ und ein ‚Folklore-Festival‘, die ‚Neun Wochen des böhmischen Barock‘, in denen viele architektonische Juwelen aus Pilsen und der Region bespielt werden, es gibt Theatervorführungen und Konzerte klassischer Musik, aber auch den ‚Sokolský slet‘ (wörtlich: Falken-Zusammenflug), ein traditionelles Sportereignis der tschechischen Turner zu Rhythmen zeitgenössischer Musik …. Die Pilsner Straßen werden belebt sein von Kleinkünstlern, und im September findet das Internationale Theaterfestival statt, das schon seit zweiundzwanzig Jahren eine Begegnungsstätte von Künstlern vieler (auch außereuropäischer) Kulturen ist.
In Zusammenarbeit mit München stellt die Westböhmische Galerie namhafte Maler des Fin de Siécle und der europäischen Moderne vor, auch Ausstellungen zu den bekannten Söhnen der Stadt Jiří Trnka und Gottfried Lindauer dürfen nicht fehlen. Der eine wurde berühmt als begnadeter Illustrator und geistiger Vater von kunstvollen, poetischen Animationsfilmen, der andere als Maler, der durch seine Portraits neuseeländischer Maori eine Bildersammlung von heutzutage unschätzbarem Wert geschaffen hat. Auch Adolf Loos, ein Architekt von Weltrang mit böhmischen Wurzeln, der in Pilsen etwa ein Dutzend Inneneinrichtungen im funktionalistischen Stil entworfen hat, möge durch das teilweise zugänglich-Machen dieser Wohnungsinterieurs wieder verstärk im öffentlichen Bewusstsein präsent werden.
Grau und bunt, Pilsen tut kund: Es ist beides: ‚Kommt und seht!‘ Vieles geht aufwärts, und ohne gelegentliche Rückschläge gäbe es kein dauerhaftes Vorankommen. Der Besuch oder gar Aufenthalt in Westböhmen und Pilsen, der für den einen oder anderen vielleicht mit einer Art Spurensuche nach den eigenen Wurzeln verbunden werden kann, lohnt sich in jedem Fall. Er dürfte einen weiteren Baustein in jener Brücke darstellen, an der Tschechen und Deutsche von beiden Seiten weiterbauen. Nur so werden auch beide Seiten davon profitieren.
Dr. Kateřina Kovačková
Germanistin aus Pilsen
Wissenswertes zu Pilsen 2015
Werbeaktion. Mit Plakaten und Projektionen wirbt das Centrum Bavaria-Bohemia bereits seit 2013 für die Kulturhauptstadt Pilsen 2015. In Regensburg wurde 2013 täglich am Abend eine Persönlichkeit aus Deutschland oder Tschechien mit einem Statement an die Fassade des Alten Rathauses projiziert. Auch die AG war dabei vertreten (s. Plakat oben).
Zug der Kultur. Zwischen Januar und September 2015 bringt ein "Zug der Kultur" jeden Samstag Besucher von Regensburg (Alex 353, 10:31 h) nach Pilsen. Bereits im Zug präsentieren sich deutsche und tschechische Künstler, spielen Musikgruppen oder werden Lesungen abgehalten. Eine gute Einstimmung auf einen ereignisreichen Kulturtag.
Bayerische Woche. Vom 20. bis 26. April ist Pilsen weiß-blau. In einer Bayerischen Woche stehen Beiträge aus dem Bereich Musik und Kunst sowie Aktionen und Präsentationen aus dem Nachbarland auf dem Programm. Diese Bayerische Woche soll dann als Tradition auch über 2015 hinaus weiter geführt werden, teilt das Centrum Bavaria-Bohemia mit.
Nähere Info zum Zug zur Kultur finden Sie hier und der Flyer steht Ihnen hier zur Verfügung.
Wissenwertes zur Kulturhauptstadt Europas wird regelmäßig auch auf Internetseiten vom Zentrum Bavaria Bohemia veröffentlicht.