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Ivan Krastev/Stefan Holmes: Das Licht, das erlosch

Seit etwa 2007 trat ein neuer, sich seither stetig vertiefender Graben zwischen dem „alten“ Westen Europas und den Gesellschaften im Östlichen Europa offen zutage, mit dem kaum jemand zuvor gerechnet hatte.

Ivan Krastev/Stefan Holmes: Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung, aus dem Englischen von Karen Schuler, Ullstein Verlag Berlin 2019, 366 S, ISBN: 978-3-550-05069-5, € 26,00.

Für das Gros der politischen, medialen und kulturpolitischen Akteure im Westen zeigt sich dieser Konflikt etwa mit Polen im Streit um die Vorrangstellung der EU Gesetzgebung vor der polnischen Verfassung oder etwa bei dem scharfen Streit zwischen der ungarischen Regierung und Brüssel wegen der Anwendungspraxis der LGTB-Gesetzgebung der EU bei Minderjährigen an Schulen in Ungarn.

In unterschiedlichen Dimensionen und mit regionalen Schwerpunkten finden sich mittlerweile in sämtlichen Staaten der ehemaligen kommunistischen Staatenwelt sowie den „neuen“ Bundesländern Deutschlands eine wachsende Ablehnung der als westeuropäisch links-grün-liberal identifizierten Gesellschaftsvorstellungen. Den Ursachen für diese Entwicklungen, die zukünftig wohl noch unabsehbare Folgen für den gesamten Kontinent haben werden, gehen Ivan Krastev und Stephen Holmes in ihrer scharfsinnigen Arbeit „Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung“ nach.

Die Studie beinhaltet eine Analyse der tiefen Umbrüche im östlichen Europa vom Ende der 1980er Jahre bis in die Gegenwart des Jahres 2020 und der komplexen Wechselbeziehungen zum alten Westen, die in eine neue Phase von Entfremdung und Konfrontation mündeten. Zentrale These ist, dass wir derzeit das Ende der Dominanz der klassischen westlichen kapitalistischen, liberaldemokratischen und linksliberalen Eliten in Europa, Nordamerika, ja in der Welt erleben.

Ein erstes Kapitel, „Vom Geist der Nachahmung“, beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungen in den Staaten Ostmittel- und Südosteuropas im Kontext zu ihrer raschen und intensiven Vernetzung mit dem westlichen Europa nach 1989. Wenn auch aus verschiedenen Gründen einte die heterogene Szene der Reformer und Bürgerrechtler sowie Bürokratie und Angehörige der alten Nomenklatura der Wunsch, die eigene Gesellschaft durch eine möglichst umfassende und geräuschlose Kopie des westlichen liberaldemokratischen und kapitalistischen Staats- und Gesellschaftssystems zu reformieren und zu dieser offensichtlich siegreichen Welt aufzuschließen.

Im zweiten Kapitel, „Nachahmung als Vergeltung“, widmen sich die Autoren den Entwicklungen in der russischen Föderation nach dem Untergang der Sowjetunion. Als Formen ohne Inhalt wurden zurecht die Reformen der 1990er gesehen, die, um dem Westen zu gefallen, sich in demokratische, marktwirtschaftliche und rechtsstaatliche Gewänder hüllten, während das Land in Korruption, Gewalt und Kriminalität versank. Das Regime unter W. Putin betreibt seit etwa 2004 eine Politik der formalen Nachahmung westlicher Politiken im Geiste einer auch so offen formulierten Vergeltung für die Demütigungen der Jahre 1989-2000. Deutlich zeigt sich das in einer auf Konfrontation angelegten Außen- und Militärpolitik die von Erweiterung der Einflusszonen (Syrien, Armenien, Moldova, etc.) bis hin zur Annexion 1991 verlorener Territorien (Krim) oder der Schaffung bzw. Unterstützung pseudosouveräner Kleinstaaten. In der Selbstdarstellung des Regimes wird dabei bewusst auf angebliche Parallelen westlicher Politik verwiesen. Die Destabilisierung des Westens ist ein langfristiges Ziel.

Das letzte Kapitel, „Nachahmung als Enteignung“, bietet eine Analyse derjenigen, auch im Westen Europas und in den USA immer einflussreicheren antiliberalen Strömungen, die etwa im Zuge der Auseinandersetzungen um den Brexit und der Präsidentschaft D. Trumps sichtbar wurden.

Dr. Meinolf Arens