Jaroslav Rudiš, Vom Ende des Punks in Helsinki, übers. von Eva Profousová, Literaturverlag Luchterhand 2014, 352 S., ISBN 978-3-630-87431-9, € 14,99.
„Schmucke Leut“
Es ist ein Buch traurigen Inhalts mit schnörkellosem, teils brutalem Alltagsjargon ohne poetische Überhöhung, dessen Geschichte eine deprimierende Erfahrung spiegelt, die es in der Generation der in den 1970er Jahren in der DDR Geborenen häufig gibt: Die Erfahrung einer sinnlosen Welt, der zu begegnen nicht einmal die Rebellion im Punk langfristig befriedigend erscheint. „Vom Ende des Punks in Helsinki“ heißt das Buch des 1972 in Turnau/Turnov geborenen Autors Jaroslav Rudiš. Wie schon in seinen vorherigen, auf Deutsch erschienenen Romanen („Grand Hotel“ und „Die Stille in Prag“) schreibt er von Menschen, die irgendwie zwischen der untergegangenen Welt des real existierenden Sozialismus und der in neuer Tristesse daherkommenden Gestalt der Gegenwart und auch irgendwo zwischen Deutschland und Tschechien unter die Räder kommen.
Ole ist unheroischer Held einer versifften Kneipe namens ‚Helsinki‘, irgendwo in einer Stadt der ehemaligen DDR – lebloses Nirgendwo, Shrinking City …. Und Ole lebt vor sich hin, lebt vor allem von seiner Vergangenheit. Die hat in der Jugend einen entscheidenden Bruch erfahren, als er sich als begeisterter Fan der ‚Toten Hosen‘ nach Pilsen/Plzeň aufmachte, um deren erstes Konzert in der ČSSR am 15.9.1987 zu erleben. Er reist zu den sozialistischen Freunden in der Tschechoslowakei, um endlich den Punk zu erleben, der ihm irgendwie sein Lebensgefühl ausdrückt: „Disko in Moskau“ – ein Titel der „Hosen“: „Das Ende ist nah/für Lenin und Marx/Das Ende ist nah.“ Er trifft auf Nancy, ein nicht minder verlorenes Mädel aus Freiwaldau, deren Tagebucheintragungen den Roman immer wieder untergliedern und ihm eine Parallelgeschichte hinzufügen: Nancy ist von der Schule geflogen, weil sie in einer penetranten Lustlosigkeit ein Punk-Leben führen will, das das komplette Gegenteil des angepassten Zwillingsbruders sein soll und zugleich Protest ist gegen Mutter und alle anderen blassen Personen der späten ČSSR-Gesellschaft. Sex ist das einzige, was Spaß macht. Ole und Nancy beschließen, sich in den Westen durchzuschlagen - ohne wirklich darüber nachzudenken, was das eigentlich heißen soll. Der Westen ist für die beiden keine Perspektive, sondern lediglich ein sich anbietender Ausweg aus der Tristesse des Alltags. Die Flucht: eine Katastrophe. Nancy stirbt, und Ole erlebt in der DDR die üblichen Folgen eines Fluchtversuchs. Ein Absturz, der keiner ist, weil das System sowieso ein Witz ist. Doch selbst der Sprung in die Gegenwart ist für die Figuren bitter, denn Ole erkennt: „Den Menschen geht es relativ gut, aber in Wahrheit steht ihnen ein langsamer Untergang bevor. Es gibt keine Visionen. (...) Alles im Voraus geplant, vereint und auf EU-Standard gebracht, ansonsten auch nur lauter Scheiße (...). Es wird sich nichts ändern. Wir brauchen Visionen und eine neue Revolution.“ Die Antwort wird angedeutet und ist ebenso trostlos ohne Widerhall und Wirkung wie das Leben der Romanfiguren: trauriger, verpuffender und unverstandener Terrorismus en miniature gegen das Establishment der „schmucken Leute“, gegen die in einem bitteren Manifest angeschrieben wird, in dem mit allem vernünftig klingenden Gesellschaftskonsens von Familie, Bio-Gläubigkeit, bis hin zum guten Trauern um Erdbebenopfer aufgeräumt wird. Aufrütteln des lethargisch „schmucken“ Status quo – doch wie?
Am Ende des Romans erfährt der Leser noch, von wem das Manifest stammt, wohin die Widerstandsaktion führt und wo für Ole der Ausweg aus der Gegenwart ist. Es bleibt nur eins: sanftes, fast melancholisch anmutendes Verschwinden.
Rainer Karlitschek