Jaroslav Rudiš: Weihnachten in Prag

Natürlich beginnt für den passionierten Zugfahrer Jaroslav Rudiš sein gerade mal 90 Seiten umfassendes Büchlein „Weihnachten in Prag“ am dortigen Hauptbahnhof, wo der Erzähler als Junge einmal seinem Vater verloren gegangen war.

Spaziergang mit Rudiš durch das weihnachtliche Prag

Natürlich beginnt für den passionierten Zugfahrer Jaroslav Rudiš sein gerade mal 90 Seiten umfassendes Büchlein „Weihnachten in Prag“ am dortigen Hauptbahnhof, wo der Erzähler als Junge einmal seinem Vater verloren gegangen war. Der Schriftsatz ist groß und die Seiten sind dunkel atmosphärisch illustriert und gezeichnet und gemalt von Jaromír99, der mit Rudiš schon die Graphic Novel „Alois Nebel“ (siehe u.a.Heft 1-2015, S. 16) gestaltete. Entsprechend wirft die Herbergssuche des Erzählers ein Bild auf den Prager Heiligabend, der sich jenseits von Familienidyll entwickelt: In einer der zahllosen Kneipen, die Jaroslav aufsucht, weil sich seine Freunde nicht melden, trifft er auf Kavka, der es schon aufgegeben hat, allzu sehr auf den Unterschied zu Kafka in seinem Namen hinzuweisen, auf den König von Prag („Meine Kinder lieben mich, die Mütter meiner Kinder lieben mich nicht.“) und später noch auf die Italienerin (Mein Tesoro wollte ancora una volta la neve di Praga erleben, sagt die Italienerin. Ich möchte noch einmal den Schnee von Prag erleben, den Schnee und den Nebel und das Licht von Prag, sagte mein Tesoro, sagte die Italienerin.). – Zu viert durchziehen sie das schneebedeckte Prag, sprechen über Bier, Karpfen, Straßenbahnen, aber auch über Wallenstein, Haschek, Hrabal oder Maria Schnee. Die Sätze ziehen sich lakonisch und voll sanfter Ironie repetitiv dahin und fallen darnieder wie Schneeflocken an einem klirrend kalten Abend, an dem man die Wärme sucht und sie in der zufälligen menschlichen Begegnung oder im Alkohol findet.

Rainer Karlitschek

Jaroslav Rudiš: Weihnachten in Prag. Mit Illustrationen von Jaromír 99, Luchterhand Verlag München 2023, 96 Seiten, ISBN 978-3-630-87754-9, 16,00 €.