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Kateřina Tučková: Gerta. Das deutsche Mädchen, aus dem Tschechischen von Iris Milde, KLAK Verlag Berlin 2018, 548 Seiten, ISBN 978-3-943767-97-1, € 19,90.

„Das geht an die Nieren“

Als das Buch „Gerta. Das deutsche Mädchen“ vor zehn Jahren in der Tschechischen Republik erschien, war nicht klar, welchen Nerv es treffen würde. Dabei hatte Dr. Kateřina Tučková – die sich zeitlebens wunderte, dass sie etwa in ihrer Geburtsstadt Brünn zahlreiche Spuren deutscher Geschichte entdeckte, über die keiner reden wollte – nichts anderes gemacht, als ihre eigene Unwissenheit über ein historisches Thema in einen Roman gepackt. Die Beschäftigung mit dem Brünner Todesmarsch vom Mai und Juni 1945, bei dem rund die Hälfte der damaligen deutschen Bevölkerung aus Brünn in Richtung Niederösterreich vertrieben wurde, war bis in die 1990er Jahre ein Tabu, rührte dies doch an den Kern verdrängter Vergangenheit, wo die schmerzhaften Geschehnisse und Explosionen brutaler Inhumanität und Gewalt in Folge des Zweiten Weltkrieges verdeckt und aus Selbstschutz und Scham aus dem Bewusstsein ausgeschlossen waren. Insofern war es ein mutiger Akt der Autorin, nicht allein zu recherchieren und Zeitzeugen ausfindig zu machen und diese auch noch angstfrei zum Erzählen zu bringen, sondern dies alles in Romanform zu bringen, wo es unerlässlich ist, dem Leser empathisch Figuren zum Leben zu erwecken und vor Augen zu führen, die den eigenen Vorstellungshorizont sprengen. Und genau das ist mit der Figur der Gerta Schnirch, deren Leben wir als Leser von Jugend an begleiten, gelungen. Wir folgen dem aus der Zeitgeschichte unglücklich und brutal determinierten Lebensweg einer Frau, die sich selbst wie ihre tschechische Mutter als solche sehen wollte, doch aufgrund des brutalen Nazivaters – er schwängert seine Tochter! – als Deutsche ein doppeltes Leid widerfahren ist: Sie überlebt zunächst den Todesmarsch, um anschließend doch als Deutsche in ihrer Heimat weiter zu leben und dort das Schicksal einer nicht wohlgelittenen Minderheit während des Kommunismus zu erleiden. Hoffnung ist ihrem Leben fremd, sie ist mit ihrer eigenen Geschichte, mit ihrem eigenen Leben nicht befriedet. Erst ihre Enkelgeneration kann ihr den Hauch von Hoffnung aufzeigen, ihre Traumata könnten und müssten nicht allein persönlich, sondern auch gesellschaftlich aufgearbeitet werden.

Diese Hoffnung bestätigten nach der Veröffentlichung des Romans 2009 der Erfolg und die gesellschaftliche Debatte, die sich nicht allein in den Autorinnenlesungen, sondern medial breit vollzog. Kontrovers aber produktiv! Die Tschechen waren reif für die Debatte um Vertreibungsschicksale – eine Erfahrung, die die Ackermann-Gemeinde ja gut kennt. Die positiven Folgen des Buches kann man unter anderem am jährlichen Festival „Meeting Brno“ sehen, wo das Gedenken an den Todesmarsch Ausgangspunkt eines Kulturfestivals geworden ist. Und die Autorin wurde Mitbegründerin.

Dass das Buch jetzt anlässlich des Tschechien-Schwerpunktes auf der Leipziger Buchmesse verspätet endlich in der deutschen Übersetzung von Iris Milde erschienen ist, ist wirklich wunderbar. Aber jeder Leser sei gewarnt: Der Roman ist keine leichte Kost, die Schilderungen gehen an die Nieren.

Rainer Karlitschek

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