Lost in Paradise

Lost in Paradise. Schweiz/Tschechien, 2020, 76 min, Dialekt/Tschechisch/d/f, Ab 10 J., Regie/Drehbuch: Fiona Ziegler, Frenetic Films

Filmtipp „Lost in Paradise“:
Zwischen Bern und Prag

"Lost in Paradise“ – allein schon der Titel ist ein phantasievolles, melancholisches Versprechen voll von Widersprüchen, denn wie kann man im Paradies verloren sein? Ist das Paradies nicht vollendete Ewigkeit, ein nie endendes Jetzt voll Glück – warum sollte man an diesem Ort nicht sein wollen in aller Fülle, jedoch ohne Verlust? Doch der Titel hält was er verspricht, auch wenn nicht ganz klar ist, welcher der beiden Spielorte nun das Paradies ist: die tschechische Hauptstadt Prag oder die Schweizer Bundesstadt Bern? Größer könnten die Gegensätze nicht sein – hier die Moldaumetropole Prag, der man mit viel Improvisation das pralle Leben einer Bohème abringen kann, dort die Aarestadt Bern, die in ihrer idyllischen Perfektion ein Leben in Reichtum und Frieden verspricht. In der Hauptfigur Eugen treffen beide Pole aufeinander. Aufgewachsen in Bern hat er Reißaus genommen, um in der Heimatstadt seines Vaters, den es als Zahnarzt nach dem Prager Frühling in die Schweiz verschlagen hat, ein unbeschwertes Leben fern der Heimat zu führen. In Geldnöte geraten, fährt er wieder zurück nach Bern, und macht dort existentielle Erfahrungen über die kulturellen Unterschiede der beiden Welten. All überall entsteht die Frage, ob das Glück sich im Äußeren manifestiert, also in der schönen Natur, in der schönen Ordnung des Fleißes und des Erfolgs oder im freigeistigen Leben des Unangepassten. Der Film führt durch unendlich viele absurde Situationen des Alltags, entdeckt Eugens Familiengeschichte des Exils basierend auf einer gelungenen, erfolgsstiftenden Lebenslüge als doppelbödiges Glück, das trotz Abgründen doch einen versöhnten Blick auf die Gegenwart erlaubt. Die Hauptfigur, gespielt von dem wunderbar rätselhaften Dominique Jann, wandelt verloren und letztlich doch sehr sicher als Weltenbummler zwischen den beiden Polen hin und her – und der Zuschauer, der sich mit der Frage, was Heimat eigentlich bedeutet, immer schon fragend auseinandergesetzt hat, findet sich selbst als jemand wieder, der zwar Verwurzelung sucht und durchaus findet, doch auch um den Preis der Anpassung und der Selbstzweifel weiß. Das zu reflektieren gelingt dem Film mit einer Leichtigkeit, die nur als Glück zu beschreiben ist.

Wie eine Filmemacherin auf diese ausgefallene Konstellation gekommen ist, diese Geschichte sei hier nur angedeutet: Dass es die in Bern aufgewachsene Schweizerin Fiona Ziegler nämlich ausgerechnet nach Prag verschlägt, um dort an der berühmten Film- und Fernsehfakultät der Akademie der Musischen Künste zu studieren, macht sie schon zu einem Unikum, hat aber nichts damit zu tun, dass eine ihrer Klassenkameradinnen ausgerechnet einer Ackermann-Familie entsprang, die noch dazu aus dem selben Ort wie die Familie des Artikelautors (den es jetzt nach Bern verschlagen hat) in Mähren stammt. Das sei einmal an anderer Stelle thematisiert. Aber wer will da noch an Zufälle glauben: paradiesisch!

Rainer Karlitschek