Luise Reddemann: Kriegskinder und Kriegsenkel in der Psychotherapie. Folgen der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs erkennen und bearbeiten. Eine Annäherung, Klett-Cotta Verlag Stuttgart 2018, 180 Seiten, ISBN 978-3-608-89222-2, € 22,00.
Kriegsfolgen in der 3. Generation
Selbst noch die Enkel können von Krieg, Nachkriegszeit, Gewalt und Terror betroffen sein. Dies kann man in der gründlichen, umfassenden und allgemeinverständlichen Untersuchung der erfahrenen Ärztin, Psychiaterin und Psychotherapeutin Luise Reddemann (geb. 1943) detailliert nachlesen. Bereits in 8. Auflage breitet sie Erkenntnisse theoretisch und an praktischen Untersuchungen aus und erschließt damit einen erweiterten Blick auf die Nachkriegsgeschichte und das Verhalten sowohl Einzelner als auch der Gesellschaft; sie zögert auch nicht, ihre oftmalige persönliche Betroffenheit klar zu formulieren. Sie erschließt damit ein anderes Deutschland als das nur vordergründig durch die wirtschaftliche Erfolgsbrille betrachtete Land, das aus den beiden Kriegs-Nachfolgestaaten zur heutigen Bundesrepublik Deutschland geworden ist. Die Verfasserin beschreibt auf sehr persönliche, aber durchaus wissenschaftlich begründete, auch unter Einbeziehung der Philosophie und Literatur auch erkenntnistheoretische Weise die Gesamtproblematik: von der NS-Zeit („Was hat Opa im Krieg gemacht?“, „Verlust der Söhne“ über Kriegskindheiten (und deren Therapierung), die Rolle von Müttern und Vätern dieser Zeit, bis zu den Kriegsenkeln und schließt Berichte und Konsequenzen an: Aneignung der Fähigkeit zu Trauern, zusammenfassende Praktiken der Psychotherapie, sodann das bis ins Einzelne dargestellte Kapitel einer Betroffenen. Und schließlich eine Betrachtung über die Heimatvertriebenen: „Fremd und ungewollt im eigenen Land“. Kritisch stellt Reddemann fest, dass es bis heute einen „Mythos einer gelungenen ‚Integration‘“ gibt; daher Ihre Forderung: „Wir bräuchten also eine Kultur des Gedenkens und des Trauerns“, denn: „Die Bandbreite der seelischen Schäden ist vielfältig“.
In einem Nachwort plädiert sie engagiert für einen offenen und generationsübergreifenden Umgang mit persönlichem Schicksal, aber auch gesellschaftlicher Befindlichkeit und zögert auch hier nicht, die „Tätergeneration“ im weitesten Sinne mit einzubeziehen. Ein in jeder Hinsicht lesenswertes Buch.
Dr. Otfrid Pustejovsky