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Michael Žantovský: Václav Havel. In der Wahrheit leben

Noch erinnern wir uns - auch die Jüngeren unter 30! - des kleinen, kurzatmigen, mit Bill Clinton in einem Prager Jazzkeller untergetauchten Mannes, der sein Land 1989-90 in die Freiheit geführt hat, und dessen Bücher aus der Zeit kommunistischer Diktatur bereits in deutscher Übersetzung bei rororo erschienen waren, dessen wichtigste politische Reden die Ackermann-Gemeinde bereits 1991 veröffentlicht hatte - und der am 1.Januar 1990 Präsident der Tschechoslowakei wurde.

Michael Žantovský: Václav Havel. In der Wahrheit leben. Die Biographie, Propyläen Verlag Berlin 2014, 680 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN 978-3-549-07437-4, € 26,00.

 

Ein Leben in Wahrheit

Noch erinnern wir uns - auch die Jüngeren unter 30! - des kleinen, kurzatmigen, mit Bill Clinton in einem Prager Jazzkeller untergetauchten Mannes, der sein Land 1989-90 in die Freiheit geführt hat, und dessen Bücher aus der Zeit kommunistischer Diktatur bereits in deutscher Übersetzung bei rororo erschienen waren, dessen wichtigste politische Reden die Ackermann-Gemeinde bereits 1991 veröffentlicht hatte - und der am 1.Januar 1990 Präsident der Tschechoslowakei wurde. Aber was wissen wir wirklich über dieses halbe Jahrhundert gerade dieses Menschen hinter dem „Eisernen Vorhang“? So greifen wir also zur großen Schilderung des Berliner Propyläen-Verlags.  Doch wie sieht eine Biographie aus, wenn sie von einem studierten Psychologen, Journalisten, politischen Dissidenten, Botschafter, Literaten, Beteiligten an der Prager „Samtenen Revolution“, über einen engen Wegbegleiter und Freund und international hochgeschätzten Humanisten und Schriftsteller des Absurden Theaters geschrieben wird?

Žantovský hat seine mit 952 Anmerkungen gespickte, 46 Kapitel umfassende Biographie Václav Havels als große Erzählung in einzelnen Kapitelchen, die eher einem literarischen Genre verpflichtet sind als einer Quellenchronologie, mit gründlicher Quellenkenntnis und persönlich umfangreichem Wissen für eine spannende Lektüre angelegt. Sie ist keine trockene „wissenschaftliche“ Darstellung - und trotzdem in allen Nuancen genau (selbst eine Bibliographie fehlt nicht!, auch nicht das von der Ackermann-Gemeinde 1991 publizierte Bändchen) - sie ist eine im besten Sinne der großen Tradition tschechischer Literatur verpflichtete, umfassende Lebens-Beschreibung; sie folgt zwar der Lebenschronologie Havels, erschöpft sich jedoch nicht in einer strengen Jahresabfolge. Statt dessen werden besondere und herausragende Elemente des persönlichen, geistigen, literarischen und politischen Wegs eines im Wortsinn unverfälschten tschechischen Intellektuellen herausgearbeitet; so ist jedem Kapitel ein besonderes, teilweise ausführliches Motto vorangestellt - etwa im Kapitel „Olga“ die Betonung der Liebe in der 50jährigen Beziehung zu seiner ersten Frau Olga, die „seine erste Leserin, seine entschiedenste Verteidigerin und seine erbittertste Kritikerin“ (S. 69) war, und als Havel im Pilsen-Bory-Gefängnis darbte, „daß womöglich gerade das Gefängnis seine Ehe rettete“ (S. 263). So versuchte Havel in seinen literarischen Arbeiten immer wieder das Absurde im menschlichen Leben als immerwährendes Theater darzustellen, und der Absurdität der kommunistischen Staats- und Herrschaftswirklichkeit begegnete er durch sein allein seinem absoluten „Wahrheits“-Verständnis begründeten Verhalten als „Dissident“ (den Begriff lehnte er prinzipiell als unzutreffend ab!) und entscheidender Initiator der „Charta 77“, die bereits in ihrer einleitenden Erklärung sowohl auf den UN-Zivil- als auch den UN-Sozialpakt abhebt und demgegenüber die „normalisierte“ Tschechoslowakei darstellt (S.204).

Žantovskýs flüssig geschriebenen, sehr gut lesbaren und mit einer riesigen Zahl von Internas versehenen lebendigen Darstellung ist in jedem Kapitel anzumerken, dass hier ein guter Freund und gleichzeitig kritischer Weggefährte des neben dem Philosophen und Mitstreiter Patočka bedeutendsten tschechischen Moralisten und international nach 1990 geachteten Politiker sowie literarisch geradezu begnadeten Dramatiker des „Absurden Theaters“ im 20. Jahr-hundert, eine Biographie vorgelegt hat, die des aufmerksamen Lesens wert ist. Anzumerken ist noch, dass ich mir ein tschechisches Original gewünscht hätte; die vorliegende deutsche (gut übersetzte!) Fassung folgt aber dem englischen Text.

Dr. Otfrid Pustejovsky