Milan Hlavačka, Robert Luft, Ulrike Lunow (Hg.): Tschechien und Bayern. Gegenüberstellungen und Vergleiche vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Konferenzband des Collegium Carolinum, des Historický ústav AV ČR und des Hauses der Bayerischen Geschichte zur Bayerisch-Tschechischen Landesausstellung 2016/2017 in Prag und Nürnberg. Collegium Carolinum München 2016, XXXIII, 374 S., 45 Abbildungen, ISBN 978-3-944396-59-0, € 34,80.
Böhmisch-bayerische Geschichte mit Lücken
Konferenzbände – wie der hier vorliegende mit 374 Seiten – haben‘s in sich: Einerseits spiegeln sie die allgemeine und spezielle wissenschaftliche Diskussion zu genau umschriebenen Themenkreisen wider, andererseits kann die Vielzahl von Einzelbeiträgen und hier vom 9./10. bis zum 20. Jahrhundert, nur bedingt die komplexe Thematik, geschichtliche Abläufe, Ideenströme, das Wirken von Einzelpersönlichkeiten erfassen.
Bücher sollen ja auch zur Meinungsbildung gelesen werden – nicht nur von wenigen „Spezialisten“; daher haben Robert Luft, Milan Hlavačka und Ulrike Lunow in ihrer 19-seitigen Einführung auf das „wenig bearbeitete“ Themenfeld „Tschechien und Bayern“ hingewiesen und auf die zahlreichen wissenschaftlichen, und damit auch publizistischen, „weißen Flecken“ ihren Blick gelenkt: die Kapitel XVI. Nationalismus, XVII. Geschichtliche Persönlichkeiten, XXI. Erkenntnisgrenzen usw..
Die Herausgeber haben rund 1000 Jahre böhmisch-bayerischer Geschichte und „Nachbarschaft“ in vier Großabschnitte mit 18 Einzelbeiträgen unterteilt: I. Mittelalter, II. Frühe Neuzeit, III. 19. und 20. Jahrhundert, IV. Zeitgeschichte. Damit sind also jeweiliger Seitenumfang und innere Gewichtung recht unterschiedlich, denn dies hängt offenkundig immer wieder von der speziellen Interessenlage des jeweiligen Verfassers bzw. Bearbeiters ab. So kommen Kyrill und Method nicht vor, auch Karls IV. Machtpolitik nicht, die Städte werden nicht weiter behandelt, und die Migrationen zwischen 1618-1648 sucht man ebenfalls vergeblich. Auch die vergleichende Geschichte der Arbeiterbewegungen im 19. Jahrhundert wurde nicht weiter dargestellt, und in der eigentlichen „Zeitgeschichte“ fehlen die beiderseitigen politischen Entwicklungen – dafür erhält der Fußballsport (S. 301-322) erstaunlich viel Raum.
Die dem Buch vorangestellten Grußworte des stellvertretenden tschechischen Ministerpräsidenten Bělobrádek und des bayerischen Kultusministers Spaenle referieren eigentlich nur den substantiell verbesserten Stand der beiderseitigen (neudeutsch: bilateralen!) Beziehungen etwa seit 2013 – seit der Rede des tschechischen Premiers Nečas im Bayerischen Landtag. In der Auswahlbibliographie hätte ich mir auch die Namen der Wegbereiter der heute so selbstverständlich erscheinenden grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gewünscht – auch wenn Einzelne in diversen Textbeiträgen genannt werden –, so Joachim Bahlcke, Bohumil Černý, Rudolf Grulich, Monika Glettler, Johanna von Herzogenberg, Jan Křen, Rudolf Hilf, Kurt A. Huber, Friedrich Prinz, Ferdinand Seibt, Petr Pithart, Petr Příhoda, Stefan Samerski u.a.
So kenntnisreich einzelne Beiträge sind – so beispielsweise die Aufsätze von Fabian Schulze zum Dreißigjährigen Krieg, Jíři Hrbeks Blick auf die absolutistischen Herrschaftsformen, Jaroslav Šebeks kritischer Vergleich der Situation der Katholischen Kirche von 1918 bis 1938 – so bleibt doch am Ende der Eindruck vorherrschend, dass wichtige Kapitel der bayerisch-böhmischen Beziehungen im Gesamtzusammenhang der mitteleuropäischen Entwicklung bei dieser Konferenz außer Betracht geblieben sind und somit weiter ein Erfordernis vergleichender Geschichtsbetrachtung bleiben.
Dr. Otfrid Pustejovsky