Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit

Schon im Titel liegt die Provokation: Das Fest der Bedeutungslosigkeit.

Ja, ziemlich bedeutungslos wirken auf den ersten Blick die schlichten Sätze, die der wohl berühmteste tschechische Literaturexilant der Gegenwart, Milan Kundera, nach über einem Jahrzehnt ohne neuem Roman scheinbar schnell, leichtfüßig und ohne große Ambition niedergeschrieben hat. Eine ungefähr fünfstündige Zugfahrt – 140 sehr großzügig gedruckte Seiten später – und mir ist klar, Milan Kundera hat zwar behauptet, einen Roman geschrieben zu haben, aber die große europäische Tradition des die Welt erklärenden Epos ist hier nur noch eine Erinnerung.

Dennoch geschieht ein Wunder: der Titel entpuppt sich als Schlüssel zu einer parabelartigen Erzählung, die viel von der momentanen kulturellen Visionslosigkeit der Gegenwart einfängt. In diesem Buch steckt so viel Beobachtungen über den Menschen, dass es mir als Leser schlicht den Atem verschlagen hat. Und der Autor scheut sich nicht davor, bestimmte Sätze zu wiederholen, sie sich wieder in Erinnerung zu rufen und sei es nur, weil das Leben wie es Kundera beispielhaft in Paris für ganz Europa zu entdecken glaubt, in einer Sackgasse gelandet zu sein scheint. Es ist ein verblasstes, unwichtiges, bürgerliches, kulturelles Leben, das Kundera in seinen Figuren entwickelt. Ein emeritierter Professor, Ramon, hat beispielsweise keine Lust, sich eine große Chagall-Retrospektive anzusehen – nur weil er nicht in der schier endlosen Schlange für ein Ticket anstehen will. Alain wiederum entwickelt unausgegorene Theorien über die Sexualität anhand der neuen Freizügigkeit, die Frauen ihrem Bauchnabel zukommen lassen. Freud lässt grüßen: die Nabelschnur... Oder ein arbeitsloser Schauspieler: Er verdient sich ein paar Kröten bei seinem Freund, einem Party-Service-Inhaber für gutsituierte Bildungsbürger, indem er als pakistanischer Kellner arbeitet und dafür sogar eine Sprache erfindet, die zwar nichts mit Pakistanisch zu tun hat, aber in der er sich dann doch plötzlich eines Abends mit einer Hausangestellten während einer Gesellschaft doch irgendwie wortreich oder wortlos über ihre Trauer verständigen kann.

Ach, und Anekdoten über Stalin zeigen, wie sich die Protagonisten zwar immer wieder mit Geschichtserkenntnis konfrontiert sehen, ohne daraus aber irgendein lebensveränderndes Kapital zu schlagen, so als wären alle Menschen heute in einer Zeit der Bedeutungslosigkeit gefangen, in der zwar die Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts von der Politik bis zur Psychoanalyse präsent und verstanden werden, die sich aber dennoch zu Ende erzählt haben. Doch wenn dem Leben kein weiterer Rahmen zur Verfügung steht, nutzt alles nichts, sind selbst Beobachtungen der simpleren Natur nur ein In-Sich-Kreisen einer Kultur des Alten Europas, ein Witz. Und einer der Protagonisten, Ramon „begreift, (vor einem Gegenüber) dass sein Lob der Bedeutungslosigkeit diesem Mann, der so am Ernst der großen Wahrheiten hängt, nicht gefallen konnte“. Ja, es ist so leicht das Leben (oder wie hieß der berühmte frühe Roman von Kundera?), aber leider auch so ...

Rainer Karlitschek

 

Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Uli Aumüller, S. Fischer Verlag Frankfurt/Main 2016 (3. Auflage), 139 Seiten, ISBN 9783596032686, 14,00 €.