Peter Härtling: Božena. Eine Novelle, dtv München 1996, 160 Seiten, ISBN 978-3-423-12291-7, € 11,90.
Auf den Spuren von Vaters Sekretärin
Im Juli 2017 verstarb Peter Härtling. Dieses Ereignis veranlasst uns, an seine Novelle „Božena“ von 1994 zu erinnern.
Der gebürtige Chemnitzer lebte während des Krieges einige Jahre mit seiner Familie in Olmütz/Olomouc, wo sein Vater als Rechtsanwalt arbeitete. 1992 fuhr Härtling das erste Mal nach der Flucht mit seiner Mutter (1945) wieder nach Olmütz und ging den Spuren seines Vaters und dessen tschechischer Sekretärin nach, versuchte, etwas über ihr Schicksal zu erfahren. Aus der Kenntnis, dass diese wohl als Kollaborateurin betrachtet und geächtet wurde, hat er seine Novelle entwickelt.
Härtling beschreibt die verschiedenen Abschnitte des Lebens dieser bei Kriegsende jungen Frau, und was sie nach dem Krieg durchleiden muss. Deutlich wird immer wieder das Hineinwirken der allgemeinen, gesellschaftlichen Stimmung in das private Leben. Es gibt kein Entkommen: Gebrandmarkt als Kollaborateurin, weil sie bei einem deutschen Rechtsanwalt gearbeitet hat, wird das Leben von Božena Koška, so nennt Härtling seine Protagonistin, von den jeweils herrschenden Institutionen bestimmt. Bis in die Familie hinein wirkt sich diese Stimmung aus. Die Brüder ziehen sich zurück und Božena selbst mutet sich ihrer Familie immer weniger zu, beteiligt sich nicht mehr am Familienleben und grenzt sich aus; lebt sich in eine Unauffälligkeit hinein. Ein wenig Selbstständigkeit findet Božena neben ihrer fürs Gemeinwohl verordneten Arbeit, als ihr erlaubt wird, in dem von einem Onkel geerbten kleinen Haus nach Feierabend zu leben.
Eine Spur von Freiheit, von Öffnung spürt sie zusammen mit der politischen Entwicklung Ende der 60er Jahre. Aber das Aufatmen ist kurz; mit der politischen Wende, dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die ČSSR (1968) verhärtet sich auch Božena wieder. Trost sind für sie ihre fünf Hunde, die sie nacheinander hat. Mit ihnen kann sie ihre abendliche Freiheit genießen.
Eindrücklich versteht es Härtling, das Ausgeliefertsein darzustellen. Es berührt und erschreckt, wie man auch ohne konkrete Schuld in die Wirren der Geschichte geraten kann und zur Gestaltung des Lebens nur ein minimaler Spielraum bleibt. Vielleicht ist es dem Autor auch ein Anliegen, den Leser zum Nachdenken anzuregen.
Dorothea Schroth