Petr Kubín: Svatý Vintíř poustevník, kolonizátor a diplomat. Der heilige Gunther Einsiedler, Kolonisator und Diplomat. Opera Facultatis catholicae Universitatis Carolinae Pragensis Historia et historia artium vol. 25, Praha 2016, 255 Seiten, 30 Abbildungen, ISBN 978-80-7422-459-1.
Auf dem Weg zur Rehabilitation: der hl. Gunther/sv. Vintíř
Jahrhunderte lang wurde der heilige Einsiedler Gunther (tschechisch Vintíř) auf beiden Seiten der Grenze verehrt, bis in der Zeit des aufkommenden Nationalismus auf tschechischer Seite das Interesse an ihm verloren ging, weil er angeblich aktiv zu einer Niederlage des böhmischen Heeres beigetragen habe. Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen verschwand er vollends aus dem tschechischen Gedächtnis.
In seinem auf tschechisch und deutsch geschriebenen wissenschaftlichen Werk bemüht sich Petr Kubín diesem Mangel abzuhelfen. Zunächst behandelt er die Quellenlage. Die beiden ältesten Autoren kamen mit Gunther noch persönlich in Kontakt und erwähnten ihn im Zusammenhang einer Emmerams- bzw. einer Godehardsvita. Aus Chroniken und Annalen sind folgende Jahreszahlen belegt: 1006 Eintritt ins Kloster Niederaltaich, 1008 Rückzug in die Waldeinsamkeit, 1045 Tod und Bestattung in Břevnov. Auch hagiographische, liturgische, bildliche und andere materielle Quellen werden ausgewertet. Es folgt eine umfassende Übersicht über die bisherige Forschung. Daran schließt sich ein Überblick über Gunthers Leben nach folgenden Gesichtspunkten an: Seine adelige Herkunft, seine Konversion und der Eintritt in das Kloster Niederaltaich unter dem heiligen Abt Gotthard; seine Zeit als Propst des Klosters Göllingen in seiner thüringischen Heimat, wo er allerdings als Klosterleiter scheiterte; das Einsiedlerleben im Bayerischen Wald beziehungsweise Böhmerwald, das verbunden war mit kolonisatorischer Tätigkeit; seine – von Kubín allerdings in Frage gestellte – Missionstätigkeit bei den Liutizen, einem Verbund slawischer Stämme zwischen Elbe, Havel, Oder und Peene; sein angeblicher, aber äußerst schwach bezeugter Aufenthalt in Ungarn unter König Stephan; sein Kontakt mit dem böhmischen Herzog Udalrich und seine Beziehung zum römisch-deutschen König Heinrich III. Kubín weist darauf hin, dass Gunther hier als diplomatischer Vermittler zwischen dem deutschen König und dem böhmischen Herzog Břetislav I. tätig war, dass es aber keinerlei Hinweise darauf gibt, dass Gunther an einem Feldzug des Königs gegen den böhmischen Herzog teilgenommen hatte. Weitere Kapitel über Tod und Begräbnis Gunthers und den mittelalterlichen Kult – eine förmliche Kanonisation scheiterte immer wieder aufgrund unglücklicher Umstände – sowie ein Epilog, in dem unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. der Eintrag Gunthers in das Römische Martyrologium vermerkt wird, beschließen die Arbeit. Sie wird ergänzt durch dreißig Schwarz-Weiß-Darstellungen.
Die Arbeit sticht hervor durch gründliche Verarbeitung der Quellen, die zum Teil auch zitiert werden, und einer äußerst umfangreichen Literatur. Dabei wird das Leben Gunthers verständnisvoll eingebettet in die kirchliche und profane Gesamtgeschichte des 11. Jahrhunderts. Die Urteile in strittigen Fragen sind ausgewogen und immer nachvollziehbar. Möge die Rehabilitierung Gunthers, was die Teilnahme am zweiten Feldzug Heinrichs III. gegen Böhmen betrifft, dazu beitragen, dass Gunther neben Johannes Nepomuk wieder als Brückenheiliger zwischen Deutschen und Tschechen verehrt wird.
Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB