Rena Dumont: Die Mühle.

„Die Selbstbestimmung hier ist keine Freiheit“ – aber wie kommt die Freiheit denn sonst zustande, wenn nicht durch die Selbstbestimmung?

Wie viel kostet es, frei zu leben?

„Die Selbstbestimmung hier ist keine Freiheit“ – aber wie kommt die Freiheit denn sonst zustande, wenn nicht durch die Selbstbestimmung? Ein Roman von Rena Dumont erzählt über die unterschiedlichsten Ebenen der Freiheit und die Möglichkeiten eines Einzelnen, sein Leben selbst zu gestalten. Kurzgefasst: Eine überraschende Geschichte aus Südböhmen vor dem Hintergrund zweier totalitärer Systeme des 20. Jahrhunderts.

Die Autorin, inzwischen etablierte Künstlerin in München, wurde 1969 in Tschechien geboren. Mit ihrer Mutter kam sie 1986 nach Deutschland, wo sie Musik und Theater studierte. Sie widmet sich dem Theater und Filmprojekten. Nach dem Debut „Paradiessucher“ ist „Die Mühle“ ihr nächster Roman, der schon im Literarischen Café der Ackermann-Gemeinde Regensburg vorgestellt wurde (siehe Heft 4-2022, S. 26).

Die Geschichte beginnt im Jahre 1939, Marie kehrt aus Prag nach Hause zurück in ein abgelegenes Dorf, weil ihre Eltern gestorben sind. Sie und ihre zwei Brüder Otto und Anton versuchen unabhängig von der nationalsozialistischen sowie später der kommunistischen Diktatur in ihrer Mühle zu leben. Keiner der Geschwister heiratet, dafür entsteht ein spektakuläres Verhältnis zwischen Marie und Anton. Im zweiten Weltkrieg können die Geschwister noch ziemlich ruhig leben, in den 50ern verschlechtert sich die Lage dramatisch. Als es dann doch besser wird, kippt die Geschichte in eine Tragödie um.

Seit Generationen lautet das Glaubensbekenntnis der Familie:  Sei unabhängig von allem! Von Elektrizität, Mechanisierung, Politik. Als die kommunistische Partei verlangt, alles Vieh, Felder, Wald und Weiden in eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft abzugeben, weigern sich natürlich die Geschwister. Deswegen bauen sie eine zwei Meter hohe Mauer um die Mühle herum, um die Unabhängigkeit zu sichern und den Kontakt mit der kommunistischen Macht abzubrechen. Ist diese Unabhängigkeit die Freiheit?

Nach zwei Jahren in einem kommunistischen Arbeitslager, wo sie kaum Freiheit hatten, kehren die Brüder zurück, das Grundstück zu betreten ist ihnen jedoch untersagt und sie fühlen sich wieder nicht frei. Später stehen sie noch einmal vor Gericht, das feststellt, dass alle Geschwister unmündig sind. Was für Folgen hat dieses Urteil? Sie besitzen keinen Ausweis, bezahlen keine Steuern, bekommen kein Geld und geben auch keines aus. Sie sind ganz unabhängig von System und Bürokratie – solange sie nicht die Dorfgrenze überschreiten. Ist das die Freiheit?

Das ist aber natürlich nicht alles. Die Autorin zeigt noch weitere Auffassungen dessen, was Freiheit genannt wird. Manchmal braucht sie nur ein kurzes Kapitel, um wieder eine andere Perspektive zu zeigen. Einmal taucht das Thema aus dem geschichtlichen Kontext auf, einmal aus Dialogen, ein anderes Mal liest es der Leser aus dem Charakter oder dem Inneren der Figuren heraus. Die vielfältige Darstellung von Freiheit ist aber nur ein Thema.

Aufgrund der Verankerung in den 30er- bis 50er-Jahren und vieler Passagen, die das damalige Geschehen erläutern, könnte man behaupten, es handele sich um einen historischen Roman. Dass dies für Geschichtslaien mit Absicht geschieht, liegt auf der Hand. Darüber hinaus bietet die Autorin aktuelle Fragen, nicht zuletzt die nach der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Marie opfert ihre Wünsche und Träume zugunsten der Brüder, obwohl sie lieber ein anderes Leben führen möchte. Am Ende bleibt sie mit ihrer geheimnisvollen Mutterschaft allein.

Kann man hier noch von Freiheit, von Selbstbestimmung sprechen?

Dem Leser begegnet in diesem Buch „ein seltsames Völkchen“, nämlich die Müller, sprich die Geschwister. An ihren Charakteren ist es möglich, das hier angedeutete thematische Spiel zu entwickeln, das an einem durchschnittlichen alltäglichen Helden vielleicht nicht so deutlich würde. Mit einem Wort: Lesens­wert.

Anna Císlerová

Rena Dumont: Die Mühle. KLAK Verlag Berlin 2022, 394 Seiten,
ISBN 978-3-948156-57-2, 19,90 €.