Stanislav Balík, Jiři Hanuš: Das Zweite Vatikanische Konzil und die böhmischen Länder, Ferdinand Schöningh Paderborn 2014. 278 Seiten, ISBN 978-3-506-77796-6, € 36,90.
Konzil und Böhmen
Die Herausgeber dieses Sammelbandes sind der Politikwissenschaftler und Historiker Stanislav Balík und der Historiker Jiři Hanuš von der Masaryk-Universität in Brünn/Brno. Außer ihnen, die auch als Autoren in dem Buch vertreten sind, finden wir Beiträge von Pavel Hradilek, Liturgiker an der Evangelischen Theologischen Fakultät der Prager Karls-Universität, und von Karel Rechlík, Kunsthistoriker und Maler, der das katholische Diözesanmuseum in Brünn leitet.
In der katholischen Kirche der Tschechoslowakei kam es erst 1968 im sogenannten Prager Frühling, also in der kurzen Zeit relativer Freiheit, zu einem konziliären Aufbruch, als ein „Werk der konzilären Erneuerung“ entstehen konnte. Wie in keinem anderen Land Ostmitteleuropas war die Kirche in der Tschechoslowakei dem Staat ausgeliefert.
Allerdings kamen viele Initiativen aus der tschechischen Emigration wie tschechische Zeitschriften in Rom und die tschechischen Sendungen von Radio Vatikan. An Quellen konnten die Herausgeber das Archiv des Bischöflichen Konsistoriums in Brünn benutzen und das Nationalarchiv in Prag. Es wurden Zeitzeugen-Interviews geführt, z. B. mit den Bischöfen František Lobkowicz und Václav Malý oder Männern der Charta 77 wie Jan Sokol. Auch wurden Ton- und Filmaufnahmen des Tschechischen Rundfunks und Fernsehens ausgewertet. Dankenswerterweise bringt das Literaturverzeichnis auch die deutsche Übersetzung der meist tschechischsprachigen Titel.
Über die tschechoslowakischen Teilnehmer des Konzils berichtet Stanislav Balík. Es war lange nicht klar, welchen Bischöfen die tschechoslowakische Regierung überhaupt die Teilnahme in Rom erlauben würden, denn die meisten Bischöfe waren an der Ausübung ihrer Ämter behindert oder standen praktisch unter Hausarrest, einige waren sogar gerichtlich verurteilt worden und waren lange in Haft.
Detailliert berichtet Balík über die Auftritte der Konzilsväter aus der Tschechoslowakei auf dem Konzil und ebenso in einem weiteren umfangreichen Kapitel über die Herangehensweisen des Staates an die Themen des Konzils während und nach dem Konzil. Einen Abschnitt widmet er auch der heiklen Frage der Kollaboration kirchlicher Vertreter mit der kommunistischen Regierung vor 1968 und nach 1968.
In einem weiteren Beitrag beleuchtet Hanuš „Das Konzil als kulturelles Phänomen“, wo die „ökumenische Aufgeschlossenheit des Konzils und der tschechischen Katholiken“ von ihm besonders hervorgehoben wird.
Pavel Hradilek würdigt als Liturgiker der Prager Evangelischen Theologischen Fakultät „Die Liturgische Reform der römisch-katholischen Kirche in den böhmischen Ländern“. Er beschreibt die Inhalte der liturgischen Erneuerung und die Reformschritte dabei, besonders durch die Liturgische Kommission für Böhmen und Mähren, und stellt dann die Organisatoren dieser Erneuerung vor, die Praktiker und die Fachleute der Liturgie.
In einem Land, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg kaum Kirchen gebaut wurden, aber viele Gotteshäuser vor allem im Gebiet der vertriebenen Sudetendeutschen der Zerstörung anheim fielen, ist das Thema, das Karel Rechlík behandelt, von Bedeutung: Architektur und Kunst in tschechischen Kirchen nach dem Konzil. Gerade im vom Barock geprägten Böhmen und Mähren mit vielen Kirchenbauten aus der Zeit der Gegenreformation war die Aussage des Konzils wichtig, dass „Gottes Gegenwart … nicht im Raum, sondern in der Gemeinschaft“ ist. Bei diesem Abschnitt des Buches sehen wir am deutlichsten, dass viele sichtbare Neuerungen des Konzils erst nach 1989 zum Tragen kamen, als der Kirche und dem tschechischen Volk wieder die Freiheit geschenkt wurde.
Msgr. Dieter Olbrich