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Stefan Samerski: Deutschland und der Heilige Stuhl

Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl in den Jahren 1920-1945 nimmt Prof. Dr. Stefan Samerski in den Blick.

Dem Leser entfaltet sich eine thematisch breit aufgestellte, auf bislang nicht oder kaum erfassten Primärquellen basierende und auch stilistisch flüssig geschriebene Analyse der Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl in der Zwischenkriegs- und NS-Zeit.

Ausdrücklich hervorzuheben ist hier ein besonderer thematischer Schwerpunkt der Studie: Die Kontaktaufnahmeversuche nach Russland beziehungsweise mit der Sowjetunion, die nach der Februarrevolution 1917 einsetzten, bis 1929 andauerten und seit 1921 als eine Art Dreiecksbeziehung unter Einbeziehung des Deutschen Reiches zu umfassen sind. Das Ganze ist ein kaum erforschtes Terrain. Man muss sich zunächst einmal vor Augen halten, dass es bis zum Sturz des Zaren nie offizielle Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Russland gegeben hatte, die katholische Kirche in Russland – zudem fast ausschließlich Polen und Litauer – unterlag immer wieder Repressionen aller Art. Die Umwälzungen seit 1917 schienen auch in manchen Kreisen der katholischen Kirche ganz neue Möglichkeiten zu eröffnen: Nichts weniger als die Missionierung Russlands – also genauer gesagt Katholisierung durch aktive Mission und an zweiter Stelle eine Kirchenunion mit der russisch-orthodoxen Kirche – schienen möglich. Verhandlungen mit der provisorischen Regierung führten zu einem ersten Abkommen im September 1917, was aber durch die Machtergreifung der Bolschewiki im Oktober dann hinfällig wurde. Von der katholischen Kirche initiierte Hilfsprojekte nach Bekanntwerden der Hungerkatastrophe in der Sowjetunion durch Terror, Bürgerkrieg und die ideologisch konzipierte Wirtschaftspolitik der Kommunisten sollten als Türöffner für Rom zum Regime genutzt werden. Und als Vermittler nahm man in erster Linie deutsche Diplomaten in Anspruch, zum einen, da das Deutsche Reich seit dem Vertrag von Rapallo 1922 diplomatische Beziehungen zum ansonsten weiterhin international geächteten Sowjetrussland aufgenommen hatte. Zum anderen, weil auch das Deutsche Reich sich dafür die Unterstützung der deutschen Positionen in den Dauerkonflikten mit Polen in Kirchenfragen erhoffte.

Die antipolnische Positionierung beider Seiten wurde nun durch die sowjetische Seite mitgetragen, die ihrerseits in Polen einen seiner wichtigsten Feinde sah. So entfalteten sich auf Geheimdiplomatie basierende Gespräche über kirchliche Freiräume, über die Möglichkeit zur Entsendung von Missionaren etc. Auch hochrangige direkte Gespräche etwa unter Beteiligung Eugenio Pacellis fanden dank deutscher Vermittlung statt. Bis in die späten 1920er Jahre wurde immer wieder eine Annäherung gesucht. Alles führte zu nichts, auch da die kirchlichen Kreise häufig den totalitären Charakter des Regimes in Moskau doch nicht in seiner Gänze zu begreifen vermochten. Realitätsferne, geradezu utopistische Erwartungen, die aber durchaus in die Welt der 1920er Jahre passten, in der Okkultismus und Endzeitprophetien aller Couleur Konjunktur hatten, verknüpften sich in diesen katholischen Zirkeln mit der Suche nach einem Weg nach Moskau. Eine Ahnung von der messianischen Stimmung in einigen katholischen Kreisen der Zeit rund um den Begriff Russlandhoffnung gibt die den Seherkindern von Fatima sehr passend im Jahre 1917 in den Mund gelegte Verheißung, dass sich Russland bekehren werde. Gemeint war damit die Katholisierung des bereits seit rund 700 Jahren christlich-orthodoxen Reiches. Von den späten 1940er Jahren bis zur Wende von 1989, die dann einen baldigen Realitätsschock auslöste, existierte in sehr konservativen katholischen Kreisen neuerlich eine derartige messianische Bewegung der Russlandhoffnung, befeuert etwa durch die in diesen Kreisen sehr populäre Dissidentin Tatjana Goritschewa.

Die vorliegende exzellente Fallstudie sollte auch zu weiteren Forschungen der Beziehungen des Heiligen Stuhls mit anderen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas animieren.

Dr. Meinolf Arens