Udo Scheer, Reiner Kunze. Dichter sein. Eine deutsch-deutsche Freiheit. Mitteldeutscher Verlag Saale 2013, 271 Seiten, ISBN 978-3-95462-075-3, € 19,95.
Literatur - in Diktatur und Freiheit
Mit dem Titel ‚Dichter sein‘ erinnert der Jenaer DDR-Dissident Udo Scheer in seinem Buch ausdrücklich an Milan Kunderas Gedicht, das Reiner Kunze seinerzeit ins Deutsche übertrug: „Dichter sein heißt / bis ans ende gehen …// immer bis ans ende gehen.“ Mit dieser existentiellen Radikalität ist zugleich die Konzentration auf die ästhetische Botschaft der Literatur, nicht auf Brotberuf und Brotherrn geboten: „Von niemandem gezwungen sein, im brot / anderes zu loben / als das brot“, wie es in Kunzes eigenem Gedicht ‚Dichter sein‘ heißt.
Scheer kontrapunktiert prosaische, manchmal geradezu protokollarische Passagen, die sich vielfach auf Kunzes Privatarchiv und noch unveröffentlichte Unterlagen der Staatssicherheit der DDR (vor allem „Operativer Vorgang Lyrik“) berufen, mit Kunzes mittlerweile berühmt gewordenen Gedichten, die das Geschilderte in lyrisch-ironischer Abbreviatur auf den Punkt bringen. Für Nichteingeweihte entfaltet sich an dieser exemplarischen Fallgeschichte ein Bild der Hybris und Tyrannis eines Regimes, das jeden freien Lebens- und literarischen Entwurf gleichschalten und nach ideologischen Vorgaben konfektionieren will. Wer als (Früh-)Indoktrinierter das Spiel durchschaut und sich sträubt weiter zu machen, gerät allein oder aber samt seinen Nächsten („realsozialistische Sippenhaft“) in die beinahe penibel funktionierende, durch die Staatssicherheit gestützte Maschinerie. Von dort aus bleibt vielfach die Übersiedlung in den Westen als einziger Ausweg übrig. Kunzes Prosaband ‚Die wunderbaren Jahre‘ (1976), wie man bereits weiß oder erstmals erfährt, fasste da viele konkrete Lebensgeschichten mit der eigenen zusammen. Manche diesbezüglichen Hintergrundinformationen findet man wohl zum ersten Mal in Scheers Buch erwähnt, so im Falle von Kunzes Protest gegen die Zerschlagung des Prager Frühlings 1968.
Es ist eine unaufdringliche, spannende Lektüre, ein ermutigendes Zeugnis, wie individuelle, wie kollektive Traumata, ungeachtet der ideologischen Sicht der Wirklichkeit und der verblendeten Propaganda hüben wie drüben anregend in eine Literatur von bleibendem Wert eingehen können und wie die zugewonnene Freiheit wieder Atem schöpfen lässt.
Dr. Roman Kopřiva