Wenzel Jaksch: Verlorene Dörfer, verlassene Menschen… Reportagen 1924-1928, Sabat Verlag Kulmbach 2018, 320 Seiten, ISBN 978-3-943506-48-8, € 24,95.
Sozialreportagen eines Zeitzeugen
Wenzel Jaksch (1896-1966) ist dem breiteren Publikum heute wohl vor allem als Mitglied des Bundestages (1953-1966) und Präsident des Bundes der Vertriebenen (1964-1966) bekannt. Seine sozialdemokratische Überzeugung brachte der im südböhmischen Langstrobnitz/Dlouhá Stropnice geborene Jaksch bereits von 1929 bis 1938 als Abgeordneter der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik in das Prager Parlament ein. Als Folge des Münchner Abkommens ging er, wie auch die tschechoslowakische Regierung, nach London ins Exil. Nach Kriegsende lebte er in der Bundesrepublik Deutschland, wo er sich als SPD-Mitglied und Funktionär für die Vertriebenenpolitik engagierte.
Bisher weniger bekannt sind seine journalistischen Arbeiten vor allem für die in Prag erschienene Tageszeitung „Der Sozialdemokrat“, dem publizistischen Organ der deutschen Sozialdemokraten in der ČSR, für das er in den 1920er-Jahren tätig war. Der vorliegende Band enthält Jakschs Reiseeindrücke in die deutschen Siedlungsgebiete aus den Jahren 1924 bis 1928. Diese liegen, nachdem sie 2017 bereits in tschechischer Sprache beim Verlag Academia in Prag erschienen sind, nun in deutscher Sprache vor. Für die Textzusammenstellung zeichnen Thomas Oellermann und Ulrich Miksch verantwortlich.
Jakschs Sozialreportagen sind Milieustudien der deutschen Bauern, Industriearbeiter, Bergleute in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Sie zeigen soziale Missstände auf, monieren Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit und thematisieren Nationalitätenkonflikte aus der Mikro- und Makroperspektive. Sie sind eindrucksvolle Berichte eines politischen Zeitzeugen und Journalisten, die grundlegend zum Verständnis der tschechisch-deutschen Beziehungsgeschichte beitragen können.
Leider bringt der Band den Inhalt editorisch wenig zur Geltung. Die zu knappe Einleitung, die die unkommentierten Berichte im Wesentlichen biografisch verortet und nur ungenügend historisch kontextualisiert, fehlende, den Quellen vorangestellte Zusammenfassungen und nicht zuletzt der Titel lassen das Buch insgesamt anachronistisch wirken. Der Text eines Radiovortrags von 1930 und Reportagen aus dem Jahr 1935 fallen chronologisch aus der Reihe.
Eine kritische Quellenedition ist das Ganze nicht. Das Buch wird dennoch Kenner der böhmisch-deutschen Geschichte und vor allem der Seliger- Gemeinde, die als Nachfolgeorganisation der DSAP den Druck auch unterstützt hat, erreichen. Letzterer stand Wenzel Jaksch von 1951 bis zu seinem Tode auch vor.
Dr. Marco Bogade