Ein deutsch-tschechisches Fest
75 Jahre Ackermann-Gemeinde
Stolz und erhaben thront die Basilika Sankt Peter und Paul auf dem Prager Vyšehrad-Hügel. Steil über dem rechten Ufer der Moldau. Sie erinnert mit ihren beiden Türmen an eine mächtige Burg inmitten einer verwinkelten Festungsanlage. Bestehend aus hohen Mauern, Toren, einer Rotunde und immer wieder grünen Oasen, die zur Entspannung einladen. Auf eben diesem Vyšehrad feierte die Ackermann-Gemeinde unter dem Motto „Dialog-Kultur-Begegnung“ mit einem „deutsch-tschechischen Picknick“ ihr 75-jähriges Bestehen.
Eingeleitet wurde der festliche Tag durch einen deutsch-tschechischen Gottesdienst in besagter Basilika. Für den Hauptzelebranten Dr. Tomáš Holub, dem Bischof von Pilsen/Plzeň, bedeutet die morgendliche Messe ein Wiedersehen nach Monaten der coronabedingten Trennung. Die Gestaltung der Messe lag bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der deusch-tschechischen Kulturwoche „Rohrer Sommer“. Nach dem Segen eilt der Bischof sogleich in die benachbarte Alte Burggrafschaft um sich der Diskussion „Christen in Deutschland und Tschechien – Worte oder Taten?“ zu stellen.
Mit auf dem Podium sitzt Stefan Vesper, ehemaliger Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Aufgrund der Kirchensteuer habe man laut Vesper viele Möglichkeiten in Deutschland, will sich aber nicht arrogant über andere stellen. Eher mit Bescheidenheit an die Sache rangehen. Er spricht vom synodalen Weg, den man aufgrund der vielen Missbrauchsfälle durch Priester und Laien einschlagen habe. Wie kann so etwas in Zukunft verhindert werden, dieser Punkt sei ihm ganz wichtig. Auch müsse die Sexualmoral weiter beraten und entwickelt werden. Vielen jungen Leuten sage dies heute nichts mehr. Auch das Thema Frauen in der Kirche sei ihm unwahrscheinlich wichtig. Diese Themen sind nach den Worten von Bischof Holub in Tschechien ähnlich, aber noch nicht so dringlich. Was den synodalen Weg angeht, so sei das von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich zu bewerten. Letztlich zählt in dieser Sache für Holub die Einschätzung von Papst Franziskus. Einzige Frau auf dem Podium ist die Äbtissin Francesca Simuniová OSB von der Abtei Venio München / Prag. Gefragt nach den Erfahrungen mit den Kirchen in Deutschland und Tschechien nehme sie Unterschiede wahr, mag aber keine Vergleiche in gut und schlecht. Deutschland sei aber schon viel weiter als Tschechien im Hinblick, Dinge zu hinterfragen. Eine offene Diskussionskultur müsse in Tschechien noch gelernt werden. Da sei noch viel Raum, so die Äbtissin. In der Burggrafschaft folgten weitere Diskussionen zur Erinnerungskultur, mit Daniel Herman (Kulturminister a.D. und SAG-Vorsitzender), Tereza Vavrová (Antikomplex) und Dr. Peter Becher (Adalbert Stifter Verein) sowie zu Europa, mit Martin Kastler (AG-Bundesvorsitzender), Markéta Gregorová MdEP und Sentor Prof. Dr.Mikuláš Bek.
Neben so viel geistiger Nahrung folgte mittags mit dem Picknick eine kulinarische Abwechslung. Viele hatten es sich mit einer Decke unter schattigen Bäumen bequem gemacht und genossen das schöne Wetter, aber auch die Möglichkeit, sich nach so langer Zeit endlich wieder zwischen Deutschen und Tschechen austauschen zu können, begleitet durch volksmusikalische Klänge durch Musikerinnen und Musiker des „Rohrer Sommers“.
Auf einer verwunschenen Wiese zwischen dem Aussichtsplateau mit dem angeblich besten Blick auf Prag und der Basilika sind anlässlich des Jubiläums der Ackermann-Gemeinde zahlreiche Zelte aufgebaut. Hier gibt es Mitmachaktionen, eine Zeitzeugenecke, ein Kinderzelt, Lesungen, eine lebendige Bibliothek, auch mit Kultur- und Nachbarschaftsthemen, und spannenden Persönlichkeiten, die erzählten und Rede und Antwort standen. Da spricht im „Gotteszelt“ ein tschechischer Gefängnisseelsorger über seinen harten Alltag, da gibt es einen Clown, der über die kulturellen Unterschiede zwischen Tschechen und Deutschen reflektiert. Die Künstlerin Birgitt Fischer erzählt über das Trennende und das Verbindende als Motiv künstlerischen Schaffens. Einige Bilder der in Prag lebenden Deutschen sind in der Galerie auf dem Vyšehrad ausgestellt.
Ein weiterer Höhepunkt ist ein Filmgespräch mit dem in Tschechien sehr bekannten Regisseur Bohdan Sláma (Wilde Bienen, Jahreszeit des Glücks). In seinem neuen Spielfilm „Land im Schatten“ geht es um ein fiktives Dorf im Sudetenland, in dem Tschechen, Deutsche und Juden leb(t)en. In ziemlich drastischer Form werden darin menschliche Schicksale vom aufkommenden Nationalsozialismus bis hin zur Vertreibung der Deutschen gezeigt. Um dem Film mehr Authentizität zu geben, wurde er in schwarz-weiss gedreht. Der in Tschechien bereits gelaufene Film, soll bald auch in Deutschland in ausgesuchten Programmkinos laufen. Als zweiter Film wurde ein Dokumentarfilm über Kardinal Josef Beran gezeigt. Die Beran-Biographin Stanisalva Vodičková stellte im Gespräch mit Manfred Heerdegen diese standhaften Kirchenmann vor.
Das „deutsch-tschechische Picknick“ bot für Mitglieder und Freunde der Ackermann-Gemeinde und die Prager Öffentlichkeit eine einmalige Gelegenheit nicht nur die Themen dieser katholischen Gemeinschaft zu erleben, sondern auch den Vyšehrad auf eine besondere Weise zu erleben. So erklang Musik in „Gorlice“, einer beeindruckenden Halle in der Wehranlage, in der Originalstatuen der Karlsbrücke einen sicheren Platz gefunden haben. In der profanisierten Kirche Johannes der Täufer wiederum lasen mit Dr. Kateřina Tučková, Dr. Peter Becher, Alena Zemančíková und Sabine Dittrich tschechische und deutsche Autorinnen und Autoren aus ihren Werken. Und im Saal der neuen Dekanei kam durch den „Rohrer Sommer“ der Kleine Wassermann als Schattenspiel zur Aufführung.
Irgendwann senkte sich der Abendhimmel über den Vyšehrad und die allermeisten Besucherinne und Besucher, Deutsche wie Tschechen, verließen das Picknick mit einem guten Gefühl, das formulierte Motto „Dialog – Kultur – Begegnung“ an diesem Tag gelebt zu haben. Bleiben wird die Erinnerung an einen schönen Tag und die Vorfreude auf weitere Treffen nach Monaten geschlossener Grenzen.
Thilo Wunschel/ag