Ausstellung "Zeugen für Menschlichkeit" - Christlicher sudeten-deutscher Widerstand 1938-1945
Nicht alle wollten „heim ins Reich“ Sudetendeutsche Christen gegen die NS-Herrschaft 1938 bis 1945
Am 29. September 1938 wurde das „Münchner Abkommen“ unterzeichnet; die Sudetengebiete wurden Teile des „Reichsgebietes“. Hitler-Deutschland war da bereits seit über 5 Jahren als Führer-Staat diktatorisch fest etabliert und durch die Olympiade in Berlin 1936 international aufgewertet. Am 15. März 1939 besetzte die Wehr- macht auf Befehl Hitlers die „Rest-Tschechoslowakei“ und errichtete das „Protektorat Böhmen und Mähren“. Damit sollte der Eroberungsplan ganz Europas und die Vernichtung der Kirchen realisiert werden.
Die auf „München“ folgende „Befreiung“ der Sudetengebiete veränderte bereits innerhalb der ersten Woche das politische Gesicht des Landes: zunächst Militärverwaltung durch die deutsche Wehrmacht, Errichtung umfassender netzförmiger Gestapo-Leitstellen und -Nebenstellen, Auflösung der sudetendeutschen Parteien und Vereinigungen (zum Beispiel von Kolping), Einziehung des sudetendeutschen Vereinsvermögens, sofortige Einstellung der bisher vom tschechoslowakischen Staat gezahlten Unterstützungssummen für Geistliche, umfassende Verhaftungen nach vorbereiteten Listen (bis Ende Dezember etwa 20.000 Personen, vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten), Auflösung aller bisherigen Jugendverbände und alleinige Zulassung der „Hitler-Jugend“ und des „Bundes deutscher Mädel“, Ausrichtung der Wirtschaft auf „kriegswichtige“ Ziele, Beseitigung der bisher freien und eigenständigen deutschen Presse.
Es ist auch daran zu erinnern, dass 1938 Hitler-Deutschland durch Himmler und Heydrich bereits 5 Jahre lang das vollständige Repressionsnetzwerk ausgebaut hatte, und dass dieser Unterdrückungsapparat unmittelbar innerhalb kürzester Zeit im Sudetengebiet und dann im Protektorat eingerichtet werden konnte; damit wurde zwar „Gruppenwiderstand“ weitgehend unterbunden – jedoch nicht der Mut und die Entschlossenheit Einzelner.
Es zeigten sich geradezu flächendeckend zahlreiche Formen sudetendeutscher Ablehnung, Opposition, Obstruktion und passiven, verbalen sowie aktiven Widerstands gegen das Repressionsregime. Bald registrierte die Gestapo und der spezielle Sicherheitsdienst (SD) der SS auch bei deutschen und tschechischen Christen verschiedener Kirchenzugehörigkeit vielfältige Oppositions- und Widerstandsformen: bäuerliche Renitenz gegenüber dem obligatorisch gewordenen Hitler-Gruß, intellektuell-literarische Opposition in oft verklausulierter schriftlicher Weise, Hören von „Feindsendern“ in allen Bevölkerungsschichten, Flugblattaktionen, ostentative Gottesdienstbesuche mit Predigten deutscher Geistlicher auch in tschechischer Sprache, Teilnahme an kirchlichen Prozessionen (so der Fronleichnamsprozession an einem Werktag und somit „Sabotage“), Hilfen für Kriegsgefangene und verfolgte Nachbarn, offene und verdeckte Unterstützung verfolgter Geistlicher – bis hinein ins KZ Dachau.
Es waren Personen unterschiedlichster Herkunft, die hierfür Mut zeigten: vom einfachen Kleinbauern bei Nikolsburg/Mikulov bis zum Prager Universitätsdozenten, von der Schulleiterin und Ordensschwester in Marienbad/Mariánské Lázně bis zum Krankenhaus-Chefarzt, von der kleinen Ladenbesitzerin in Karlsbad/Karlovy Vary bis zum katholischen „Staffelsteiner“ in der „Freiheitsbewegung Österreich“.
Jegliche angenommene oder tatsächliche Gegnerschaft zum Regime wurde durch politisch vorgegebene prozessuale „Begründungen“ brutal geahndet: der schriftliche Protest gegen den mit Hitler-Gruß schließenden Brief Kardinal Innitzers an den „Führer“ endete für den sudetendeutschen Kolping-Senior Josef Tippelt 1943 mit dessen Tod am Fleischerhaken in Plötzensee, ebenso die Druck- und Verbreitungstätigkeit der Papst-Enzyklika „Mit brennender Sorge“ Pius XI. für den Buchhändler Eduard Schlusche auf einem KZ-Schiff in der Nordsee. Das Nachdenken über ein neues Europa nach einem für Deutschland verlorenen Krieg (schon 1940/41 so formuliert) fand vor allem in jugendlichen Kreisen fundamentales Interesse – der junge Hanns Georg Heintschel von Heinegg war das Pendant zu den ihm unbekannten Mitgliedern der Münchner „Weißen Rose“.
70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und der Errichtung einer rund 45jährigen kommunistischen Diktatur ist die Zeit gekommen, über nationale Grenzen und Vorbehalte hinweg die „schwarzen Löcher“ der Geschichte von Sudetendeutschen und Tschechen hell auszuleuchten. Hierzu gehört auch der sudetendeutsche Widerstand, der über Jahrzehnte keine angemessene wissenschaftliche und öffentliche Würdigung erfuhr. Erst die sog. „Paroubek-Geste“ der tschechischen Regierung von 2005 lenkte den Blick auf diese Schicksale der Geschichte, jedoch zunächst nur mit dem Schwerpunkt auf Sozialdemokraten und Kommunisten. Mit der neuen Ausstellung „Zeugen für Menschlichkeit“ (2016) wird endlich das Bild um den christlichen sudetendeutschen Widerstand 1938 bis 1945 um einen wichtigen Bereich ergänzt und erweitert.
Dr. Otfrid Pustejovsky
Erstmals eröffnet
Am 16. September war es soweit. Nach langen Vorarbeiten wurden im Rathaus Würzburg erstmals die Ausstellung „Zeugen für Menschlichkeit“ präsentiert. Gezeigt wurde sie aus Anlass der Seligsprechung von P. Engelmar Unzeitig, welche am 24. September in der Bischofsstadt am Main unter reger Beteilung aus Deutschland und Tschechien stattfand. Am Tag der Seligsprechung (nach Redaktionsschluss; Bericht in Ausgabe 4-2016) wurde die Ausstellung von der Ackermann-Gemeinde im Rahmen eines Empfang des Würzburger Oberbürgermeisters Christian Schuchardt zahlreichen Ehrengästen aus beiden Ländern präsentiert.
Ausstellung
"Zeugen für Menschlichkeit“ heißt eine neue Ausstellung, die gemeinsam von der Ackermann-Gemeinde mit der Sdružení Ackermann-Gemeinde und der Tschechischen Christlichen Akademie erstellt wurde. Sie widmet sich dem christlichen sudetendeutschen Widerstand in den Jahren 1938 bis 1945. Im Mittelpunkt stehen zehn Glaubenzeugen, fünf Priester, zwei Ordensfrauen und drei Laien, die sich gegen das NS-System stellten und ihr Leben in Konzentrationslagern oder in Hinrichtungsstätten verloren.
Die Ausstellung stellt in Lebensbildern folgende zehn Personen vor:
Engelmar Hubert Unzeitig - Ein Märtyrer der Christenheit
1.3.1911 Greifendorf (Hradec nad Svitavou) – 2.3.1945 KZ Dachau
Richard Henkes - Ein Apostel der deutsch-tschechischen Versöhnung
26.5.1900 Ruppach – 22.2.1945 KZ Dachau
Roman Karl Scholz - Weltgewandter Widerständler und tief christlicher Chorherr
16.1.1912 Mährisch Schönberg (Šumperk) – 10.5.1944 Wien
Augustinus Franz Schubert - Ein zweisprachiger Priester, in zwei Welten zuhause
14.5.1902 Prag-Žižkov – 28.7.1942 KZ Dachau
Karl Schrammel - Singfreudiger Musiker, freimütiger Priester
22.9.1907 Friedeck (Frýdek) – 5.2.1945 KZ Buchenwald
Maria Restituta Helene Kafka - Eine lebensfrohe, opferbereite Ordensfrau
1.5.1894 Hussowitz bei Brünn (Husovice u Brna) – 30.3.1943 Wien
Epiphania Barbara Pritzl - Begeisterte Lehrerin, couragierte Schulschwester
26.8.1881 Hirschau (Hyršov) – 18.3.1944 KZ Ravensbrück
Eduard Schlusche - Furchtloser Buchhändler und christlicher Kämpfer
12.10.1894 Bennisch (Horní Benešov) – April 1945 KZ Neuengamme - Ostsee
Josef Tippelt - Lehrer, Christ und ungewollter Held
30.8.1908 Marschendorf (Horní Maršov) – 6.3.1943 Berlin-Plötzensee
Hanns Georg Heintschel von Heinegg - Patriot und sensibler Lyriker, standhafter Christ
5.9.1919 Kneschitz (Kněžice) – 5.12.1944 Wien
Schirmherren der Ausstellung sind der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka (s. S. 2) und der Vorsitzende der Tschechischen Bischofskonferenz Kardinal Dominik Duka. Die Ausstellung knüpft an Initiativen früherer tschechischer Regierungen an. So wurde 2005 auf Initiative von Ministerpräsident Jíři Paroubek der sudetendeutsche Widerstand von Sozialdemokraten und Kommunisten aufgearbeitet und in einer Ausstellung vorgestellt. 2013 hob Premier Dr. Petr Nečas den christlichen Widerstand in seiner historischen Rede im Landtag hervor und gedachte der Opfer am „Pfarrerblock“ in der KZ-Gedenkstätte Dachau.
Erstmals wurde die Ausstellung anlässlich der Seligsprechung von P. Engelmar Unzeitig in Würzburg präsentiert (s. links). Die tschechische Version der Ausstellung wird im Februar im Beisein von Kardinal Duka im Prager Emaus-Kloster der Öffentlichkeit vorgestellt. Weitere Ausstellungsorte in Deutschland und Tschechien werden folgen. Die Ausstellung kann über die Bundesgeschäftsstelle ausgeliehen werden.
Katalog zur Ausstellung
Als „Zeugen für Menschlichkeit“ stellt dieser Katalog zehn Persönlichkeiten vor, die sich aus christlicher Überzeugung gegen den Nationalsozialismus gestellt haben und so Opfer dieses menschenverachtenden Regimes wurden. Es handelt sich um fünf Priester, zwei Ordensfrauen und drei Laien, die noch heute mit ihrem Lebenszeugnis, dargestellt in Texten und Bildern, Beispiel und Vorbild sein sollen. Bis zum Münchner Abkommen 1938 und zur vollständigen Besetzung Böhmens und Mährens 1939 lebten diese Menschen als Deutsche in der Tschechoslowakei. Um ihre Lebensbilder einordnen zu können, ist es notwendig, sie auch im historischen Kontext zu betrachten. Dieser wird durch einen Essay und in den einleitenden Kapiteln des Kataloges erläutert. Keine der vorgestellten Personen durfte das Ende des Nationalsozialismus erleben. Sie starben schon vorher in den Konzentrationslagern oder wurden hingerichtet. An sie und darüber hinaus an alle weiteren christlichen sudetendeutschen NS-Gegner der Jahre 1938 bis 1945 wollen die Ausstellung und der Katalog erinnern. So bildet eine lange Liste aller bisher bekannten Namen den Abschluss des Kataloges. Der Ministerpräsident der Tschechischen Republik Bohuslav Sobotka verweist als Schirmherr dieses Projektes darauf, dass die tschechische Regierung schon in der Vergangenheit ehemalige tschechoslowakische Staatsbürger deutscher Nationalität, die sich aktiv gegen den Nazismus gestellt hatten, gewürdigt hat. Er sieht den Wert der Ausstellung darin, dass mit ihr das Bewusstsein über den christlichen Widerstand erweitert wird. Die Ausstellung knüpft damit an die Gesten früherer tschechischer Ministerpräsidenten an. Auch der Vorsitzende der Tschechischen Bischofskonferenz Kardinal Dominik Duka hat die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen. Aus seiner Sicht sind die Gläubigen von heute denjenigen, die den christlichen Glauben nicht verleugnet haben, Vieles schuldig. Sie sind Zeugen dafür, wie groß die Gabe und die Kraft des wahren Glaubens sind. Noch ist der christliche sudetendeutsche Widerstand 1938 bis 1945 wissenschaftlich nicht umfassend aufgearbeitet. Die Initiatoren der Ausstellung „Zeugen für Menschlichkeit“ erhoffen sich daher, dass sich durch sie und mit diesem Katalog ein Impuls ergibt, um eine Veränderung zu bewirken.
Zu kaufen: Katalog zur Astellung - Zeugen für Menschlichkeit
Bohuslav Sobotka
Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka schrieb als Schirmherr zur Ausstellung „Zeugen für Menschlichkeit“:
„Wenn wir uns mit der tragischen Geschichte des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, sollten wir nicht nur Tschechen und Deutsche sehen, sondern vor allem Schicksale von konkreten Menschen. Erst dann, glaube ich, begreifen wir das schreckliche Ausmaß des menschlichen Unglücks, das die nazistische Diktatur verursacht hat, den Mut derer, die sich entschlossen haben, sich ihr zu stellen, und die Opfer, die sie bringen mussten. Dann müssen wir die Prinzipienfestigkeit der Leute, die sich entschieden haben, der Wahrheit und Menschlichkeit treu zu bleiben, bewundern. Dann sehen wir, wie bequem es wäre, die Augen vor den Verbrechen zu verschließen. Man kann die Gedanken an die Frage nicht loswerden, wie man in einer solchen Situation selber handeln würde. Helden, die es geschafft haben, Ihre Stimme gegen Unrecht zu erheben, finden wir unter Tschechen wie unter Deutschen. Die Regierung der Tschechischen Republik hat schon in der Vergangenheit die ehemaligen tschechoslowakischen Staatsbürger der deutschen Nationalität gewürdigt, die sich gegen den Nazismus gestellt haben, und es ist gut, dass die Ausstellung „Christlicher sudetendeutscher Widerstand 1938-1945“ das Bewusstsein über eine solche Gruppe erweitern wird.“
Stationen der Ausstellung
Dachau, Max-Mannheimer-Haus (Roßwachstraße 15)
22. Mai - 17. Juni 2017
Augsburg, Sudetendeutscher Tag (Messezentrum Augsburg)
3. und 4. Juni 2017
München, Basilika St. Bonifaz (Karlstraße 34)
20. Juni bis 10. Juli 2017
Wien, Kirche Maria am Gestade (Salvatorgasse 12)
7. - 29. September 2017
Aussig/Ústí, Collegium Bohemicum (Ulice Masarykova 3) – gemeinsam mit der tschechischen Version der Ausstellung
17. Oktober – 1. November 2017
Dresden, Kathedrale Ss. Trinitatis (Schlossstraße 24)
3. - 12. November 2017
Fürth, Kirche Christ König (Friedrich-Ebert-Straße 5)
14. November – 3. Dezember 2017
Stuttgart, Haus der Katholischen Kirche (Königstraße 7)
9. März – 7. April 2018
Schwäbisch Gmünd,
8. April – 4. Mai 2018
Münster, Katholikentag (Gesamtschule Mitte)
9. -12. Mai 2018
Waldkraiburg, Christkönig-Kirche (Karlsbaderstraße 1)
7. – 24. Juni 2018
Waldkraiburg, Pfarrzentrum Maria Schutz (Franz-Liszt-Straße 15)
26. Juni – 4. Juli 2018
Speinshart, Kloster Speinshart (Klosterhof 2)
6. Juli – 29. August 2018
Frankfurt am Main, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt (Linkstraße 64)
1. -23. September 2018
Wittichenau, Forellverein (Kolpingplatz 8)
25. September – 14. Oktober 2018
Roding, Pfarrkirche (Marktplatz 13)
15. Oktober – 9. November 2018
Ulm, Gemeindehaus St. Franziskus (Buchauer Straße 16)
26. Januar – 9. Februar 2019
Berlin, Evangelische Brüdergemeine Herrnhut (Kirchgasse 14)
24. Februar – 17. März 2019
Schönsee, Centrum Bavaria-Bohemia (Freyung 1) – gemeinsam mit der tschechischen Version der Ausstellung
4. April – 9. Mai 2019
Regensburg
10. – 25. Mai 2019
Haindorf/Hejnice, Internationales Zentrum für geistliche Erneuerung (Klášterní 1) – gemeinsam mit der tschechischen Version der Ausstellung
29. Juni – 14. Juli 2019
Landshut, Stadtkirche Landshut (Altstadt 219)
18. Juli – 11. August 2019
Schwäbisch Gmünd
12. August – 5. September 2019
Valledar, Philosophisch-Theologische Hochschule
13. Oktober - 27. Oktober 2021