Das Schlesische Museum zu Görlitz: Der Schönhof - Ort der Erinnerung

Der Bus Nr. 6 bei der Sternfahrt  führte unter dem Titel „Deutsch-polnisches Erinnern an Schlesien“ die Teilnehmer des Deutsch-Tschechischen Bundestreffen in das Schlesische Landesmuseum in Görlitz.

Exponiert am Ende des Obermarktes mit seinen wunderschön sanierten Häusern und Gebäuden, an der Engstelle zum Untermarkt hin auf Höhe des Rathauses, liegt der „Schönhof“ (Foto). Mit seiner prächtigen Renaissance-Fassade war er einst das schönste Haus in der Stadt, Stadtpalast eines Tuchhändlers und Bürgermeisters. Seit 2006 ist hier, im Herzen der Europastadt Görlitz - auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland - das Schlesische Museum untergebracht. Es versteht sich als die zentrale museale Einrichtung für die Kulturgeschichte Schlesiens in Deutschland.

Den Museen kam nach dem Krieg eine besondere Rolle zu: Das Ausstellungsgut war entweder zerstört oder verlagert worden. Ende der 1950er Jahre wurden neue Museen gegründet, durchwegs als wirtschaftsgeschichtliche Spezialmuseen (Keramikmuseum in Bunzlau, Glasmuseum in Hirschberg etc.). Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks fanden die Schlesier ihre „kleine Heimat“, in kleinen Orten der Verständigung. Museen wurden als traditionelle, geschichtlich aufgebaute Stadtmuseen neu konstruiert, mit zurück geholten schlesischem Kulturgut. Das entsprechende Bewusstsein entstand erst durch die Vertriebenen mit ihren „Heimatstuben“, privaten Sammlungen und sozialen Treffpunkten. In den 1970er Jahren forderte die Landsmannschaft der Schlesier ein zentrales Museum unter professioneller Leitung, das in den 1980ern konkret in Hildesheim geplant und nach der Wiedervereinigung in Görlitz errichtet wurde. In gewissem Sinne bedeutete dies eine Rückkehr nach Schlesien, denn Görlitz hatte ja als Zentrum der nordöstlichen Oberlausitz bis 1945 zur Provinz Schlesien gehört.

Das Museum im Schönhof sollte nicht nur für Vertriebene, sondern für alle Besucher offen stehen, vor allem für polnische. Die ständige Ausstellung ist auf einen Überblick über Geschichte und Kultur ganz Schlesiens hin konzipiert. Dabei ist die Oberlausitz in ihren Beziehungen zu Schlesien und zur schlesischen Geschichte hin berücksichtigt. Unter anderem ist die Geschichte des Landes von der Zeit der piastischen Herzöge und der deutschen Besiedelung dokumentiert bis hin zur Flrucht, Vertreibung und Aussiedlung von Deutschen in Folge des Zweiten Weltkriegs. Vergleichbare polnische Erfahrungen als Folge der so genannten West-Verschiebung Polens fehlen ebenso wenig wie der Ausblick in die Gegenwart.

Das bedeutendste „Ausstellungsstück“ des Museums ist der Schönhof selbst. Als Bau stammt er im Kern aus dem 13., die Anbauten aus dem 14. und 15. Jahrhundert; seine Blütezeit lag im 16. Jhd. Ab Mitte der 1980er Jahre wurde das schwer geschädigte Gebäude restauriert, darunter die Renaissancefassade, die Wandmalereien und  Holzbalkendecken aus dem 15.-17. Jhd. Die Bestände des Museums geben nicht nur einen guten Überblick über die Kulturgeschichte Schlesiens in den letzten Jahrhunderten. Schwerpunkte sind Kunsthandwerk und Kunstgewerbe des 17.-19. Jahrhunderts. Besonders aus der barocken Blütezeit Schlesiens um 1700 sind zahlreiche Exponate zu sehen, wie z. B. kunsthandwerkliche Sammlungen, etwa Glas, Keramik, Fayencen und Porzellan, Zinn und Eisenkunstguss, Gold- und Silberschmiedearbeiten.  Neben Industriekultur und Großstadtleben spielt die Kunst in der Zwischenkriegszeit, vor allem im Umkreis der Breslauer Akademie, eine große Rolle. Unter den Gewölben des Erdgeschoßes finden sich Texte, Fotos und Exponate zu den Themen „Schlesien im Nationalsozialismus“, „Vertreibung“ und „Schlesien und die Schlesier nach 1945“. Einige der wenigen Ausstellungsstücke sind nur erhalten geblieben, weil Vertriebene und Flüchtlinge sie zusammen mit ihrem letzten Hab und Gut gerettet hatten (etwa das Altarkreuz aus der Glogauer Friedenskirche, eine Madonna der Zisterzienser in Grüssau aus dem frühen 18. Jhd., eine kleine Figur des Rübezahl, mehrere Schlüsselbunde).

Vor der kurzen Führung durch Teile der Ausstellung erläuterte und interpretierte der Museumsleiter Dr. Markus Bauer in zwei historischen Vorträgen die besondere Geschichte der Stadt Görlitz nach 1945 und die Bedeutung Schlesiens für Deutsche und Polen.

Die Kulturlandschaft Schlesien war, so Bauer, Jahrhunderte lang von Deutschen geprägt und gehört jetzt mit dem überwiegenden Teil ihres Territoriums zu Polen. Das Land erfuhr im Laufe seiner Geschichte ein wechselhaftes Schicksal, denn Schlesien unterstand zumeist einem seiner Nachbarn. Es begann als polnisches Herzogtum, wurde der böhmischen Krone inkorporiert, war preußische Provinz und nachgeordnetes Land des Heiligen Römischen Reiches; heute ist es Westprovinz Polens. Die den Umbrüchen vorausgegangenen Konflikte und kriegerischen Zeiten wurden nie von Schlesien aus angefacht, vielmehr war dieses Spielball fremder Interessen. Tiefpunkt der Entwicklung war der Zweite Weltkrieg mit seinen Millionen von Toten, Zwangsarbeitern, Flüchtlingen und Vertriebenen; die Folgen bekam die Stadt Görlitz in besonderer Weise zu spüren. Denn die meisten Flüchtlinge aus Schlesien passierten die Stadt, die selbst kaum zerstört war. Etwa die Hälfte der Bevölkerung in Görlitz waren Flüchtlinge. Dazu kamen weitere Vertriebene aus dem Osten, so dass die Zahl der Einwohner extrem anstieg.

Nach 1945 gab es noch eine relativ große jüdische Gemeinde in schlesischen Städten (550 Personen in Görlitz). Als sich 1947 wieder antisemitische Ausschreitungen in Polen breit machten, wanderten viele Juden nach der Errichtung des Staates Israel dorthin aus. Die jüdische Bevölkerung schrumpfte, mit einer antisemitischen Welle 1968 verschwand sie fast vollständig.

In den Nachkriegsjahren lebten in Niederschlesien keine Deutschen mehr, in Oberschlesien war die Bevölkerung gemischt, unter restriktiver Regulierung. Die kommunistische Regierung vertrat die Ideologie, Schlesien sei ursprünglich ein polnisches Land gewesen, durch die deutsche Kolonialisation überdeckt, doch innerlich polnisch geblieben und nun wieder gewonnen.

Das Trauma ist für die Betroffenen bis heute nicht erloschen, Osten und Westen differieren noch immer aufgrund der unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen und Perspektiven. Doch bewegen sich Deutsche und Polen seit der Wende allmählich auf einander zu, das Thema „Vertreibung“ tritt für die Stadt langsam weiter zurück, die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen haben nachgelassen. Dass sich dieser Prozess der Aufarbeitung und Annäherung fortsetzt, dazu möchte auch das Schlesische Museum zu Görlitz als Ort der Erinnerung beitragen mit dem Auftrag, Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.

Dr. Gertraud Heinzmann

Für nähere Informationen sei das Museumsbuch empfohlen: Schlesisches Museum zu Görlitz – Museum für eine europäische Kulturregion, hg. v. Markus Bauer u.a., Verlag Janos Stekovics Dößel 2006, ISBN 3-89923-123-6, 15,- €.