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Christen sollen ihren Part in Europa spielen

Zu dem Stichwort „Europa verpflichtet“ sprachen am letzten Tag des Bundestreffen Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik, CDU-Politiker und einst Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, und Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Teltschik sagte, dass er besonders gern über und für den europäischen Einigungsprozess spricht: „Die EU ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Sie ist ein Faktor der politischen Stabilität, des Friedens, der Freiheit, des Wohlstandes und der Sicherheit in Europa. Sie ist heute zum Vorbild für viele Regionen in der Welt geworden.“ Er vergegenwärtigte dem Publikum im Saal der Pilsener Měšt'anská beseda die politischen Umwälzungen zu Beginn der 1990er Jahre in Deutschland und die damit einhergehende Entwicklung in Europa, bis hin zu einem einheitlichen Konstrukt, der Europäischen Union bestehend aus 27 Mitgliedsstaaten. Teltschik stellte Erfolge deutlich heraus, die er auch in der Diskussion um Vertiefung und Erweiterung der Union sieht, und verschwieg dabei nicht die noch ausstehenden Probleme und Fragen.

Bisher noch ungeregelt ist etwa die Einbindung Russlands: Schon im vergangenen Jahr hat der russische Präsident Dmitri Medwedew eine „Europäische Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok“ vorgeschlagen und mehrere Punkte eines möglichen Vertrages beschrieben, doch der Westen reagierte bisher verhalten. Die EU und Deutschland sprechen von einer strategischen Partnerschaft. „Das ist bisher eine inhaltslose Formel geblieben“, sagte Teltschik. Er mahnte an, dass es an Deutschland ist, ein besonderes Vertragsverhältnis zwischen der EU und Russland anzustreben. „Wir könnten mit einer gemeinsamen gesamteuropäischen Freihandelszone beginnen.“

Frankreichs Interesse richte sich vorrangig auf den Mittelmeerraum, was Präsident Nikolas Sarkozy durch die Wiederaufnahme der Mittelmeer-Union verdeutlicht habe. Teltschik sieht darin die Möglichkeit einer Arbeitsteilung: Deutschland engagiere sich neben Mittel- und Nordeuropa vorrangig in Osteuropa, Frankreich im Süden der Europäischen Union. Und so fällt Deutschland eine besondere Rolle im europäischen Einigungsprozess zu.

Meyer deutete den Titel „Europa verpflichtet“ sowohl als „Europa verpflichtet uns“ als auch in Richtung „Wir sind Europa verpflichtet“. Und er brachte den Begriff „Vision“ ins Spiel – in Abgrenzung zur Realität. Deutlich stellte er für Europa mangelnde Demokratie- und Öffentlichkeitserfahrung fest, weshalb zum Teil wenig Interesse an Europa bestehe. Auch mangelnde europäische Identität und die darauf beruhende verlässliche Verfassung sprach Meyer an. Er empfahl als europäische Identität die Einheit in der Vielfalt. Für Meyer heißt Identität der jetzige Stand des geschichtlichen Wandels ohne Anspruch auf Endgültigkeit und Unveränderlichkeit.

Ähnlich ist es laut Meyer mit dem Glauben: Zwar sei das Glaubensgut zeitlos gültig, aber „der konkret verkündete und gelebte Glaube ist untrennbar mit der konkreten Geschichte verbunden. Darum wandelt sich mit der Geschichte auch das Glaubensverständnis“. Die Kirche könne als das durch die Geschichte pilgernde Volk Gottes charakterisiert werden und damit als eine Kirche im Wandel und in ständiger Erneuerung, als eine Weg- und Gesprächsgemeinschaft. „Die auf der allgemeinen Menschenwürde begründete Freiheit ist die große Herausforderung, vor der wir bestehen müssen – als Europäer und als Christen“, verdeutlichte der ZdK-Präsident. Er erläuterte, dass der geplante Gottesbezug in der Europäischen Verfassung keine Anrufung Gottes bedeute, sondern nur die Verantwortung vor Gott beinhalte, also ein Hinweis auf die Autorität Gottes, die über jedem menschlichen Handeln steht. „Gerade weil die Europäische Union aus der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges als Friedenswerk und neuer Anfang entstand, hätte ihr eine solche Erinnerung gut angestanden“, stellte Meyer fest. Die Erinnerung an Gott könne nur Appellcharakter haben, Thema und Argument für den öffentlichen Diskurs sein, den die Christen selbst aktiv bestreiten müssen.

Mit einem anderen Stereotyp räumte Meyer ebenfalls auf: die Gleichsetzung von Christentum und westlicher Welt bzw. mit dem Begriff „christliches Abendland“. Das Evangelium richte sich an alle Menschen und müsse bei den verschiedenen Völkern in unterschiedlichen Konfessionen inkulturiert werden. Als Quellen Europas nannte Meyer die jüdisch-christliche Tradition, die historischen Beziehungen zum Islam, die Orthodoxie sowie die Aufklärung, wobei es auch Konfliktpotenzial zwischen diesen Elementen gibt. „Die christliche Vision für die Einheit Europa in seiner Vielfalt besteht darin, dass Christen in diesem europäischen Konzert ihren Part spielen – gekonnt, eindrucksvoll, originell, allzeit präsent und unüberhörbar. Eine europäische Christenheit, religiös vital, in ökumenischer Geschwisterlichkeit kooperierend, geistig wach, kulturell kreativ, aktiv in gesellschaftlicher Verantwortung“, dazu motivierte Meyer die Teilnehmer.

Abschließend dachte Meyer – vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Ost und West – über den europäischen Laienkatholizismus nach und nannte die Initiative „Christen für Europa“. „Nicht zuletzt ist es die Arbeit der Ackermann-Gemeinde, welche beweist, dass man Brücken der Zusammenarbeit bauen kann, wenn man im Einsatz für europäische Verständigung einen langen Atem hat und nicht auf kurzfristige Erfolge setzt“, würdigte Meyer die visionäre Arbeit dieses Verbandes, die nun – mit Gottvertrauen und Geduld – das Bundestreffen in Pilsen ermöglicht hat. „Was einst undenkbar schien oder in weiter Ferne lag, ist heute Realität. Das kann und muss allen, die sich ihrer christlichen Verantwortung für die Zukunft Europas bewusst sind, ein Ansporn sein“, schloss Meyer seinen Vortrag.

Text und Fotos: Markus Bauer / Susanne Beckmann