Gesprächsforen
Gesprächsforum 1: Sind Christen die besseren Nachbarn? Wie funktionieren kirchliche Partnerschaften?
Seit 1989 gibt es vielfältige Möglichkeiten, dass sich Christen aus Deutschland, Tschechien und der Slowakei treffen können. Impulse für das Gespräch kamen von Marie Zettlová (Pilsen) und Roland Stindl (Dettenheim), die von ihren Erfahrungen der bestehenden Partnerschaft zwischen den Diözesen Pilsen und Freiburg berichteten. Pater Dr. Miloš Raban (Haindorf/Hejnice) stellte das Internationale geistliche Zentrum in Haindorf vor. Liegen die Chancen eines Zentrums in der Vielfalt und Flexibilität der jeweiligen Themen, Veranstaltungsformen und Zielgruppen, so bieten diözesane Partnerschaften dagegen die Chance, eine über mehrere Jahre dauernde Weggemeinschaft von Gruppen und Kreisen auf beiden Seiten einzugehen.
Gesprächsforum 2: Die biographische Spurensuche – ein Zugang zur deutsch-tschechischen Nachbarschaft
Martin Dzingel (Landesversammlung der Deutschen, Prag) schilderte seine Abstammung: sudetendeutsche Mutter, tschechischer Vater. Er wuchs deutsch (Sprache, Kultur) auf, wobei er stark von der Oma (und deren Dialekt) geprägt wurde. Erst an der Universität erlernte er die Hochsprache richtig. Dzingel empfand sich als Angehöriger der deutschen Minderheit und damit als anders als die Mehrheitsbevölkerung. Nach 1989 sei für ihn ein Nachdenken über seine Identität nötig geworden. Über die Familienforschung, den Besuch eines Friedhofs und ein Gräberprojekt ist Stefan Stippler (München), im Jahr 1972 geborener Sudetendeutscher, zur Spurensuche im Herkunftsort seiner Familie gekommen. Seit 2004 arbeitet er gut mit den Kommunalpolitikern und Heimatkreisen zusammen. „Wir brauchen tschechische Unterstützung zum Erhalt der heimatlichen Kultur“, lautete sein Plädoyer. MdEP Bernd Posselt bezeichnete das deutsch-tschechische Verhältnis als eine „sehr verwickelte Familienangelegenheit“, wobei der Weg der Entwicklung für ihn offen ist. Er schilderte seine Lebensstationen und verdeutlichte, dass er wegen der verschiedenen Orte immer auf der Suche nach Heimat gewesen sei. Diese Suche habe zu seinem Amt als Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe geführt, während er in die Europapolitik als politische Konsequenz dieser Erfahrungen eingestiegen sei. Er selbst bezeichnete sich als „Angehöriger einer Übergangsgeneration, wo einiges verloren“ gehe. „Diese besondere Identität können wir nur durch Kontakte nach Tschechien bewahren“, fasste Posselt zusammen.
Gesprächsforum 3: Das verschwundene Sudetenland, Arbeitskreis zur Ausstellung mit Ondřej Matějka (Antikomplex).
Von den tschechischen Ausstellungsmachern wurde hervorgehoben, dass im Rahmen der Ausstellung und im Vorfeld die Beschäftigung mit dem Sudetenland intensiviert wurde. Darüber hinaus hatte die Ausstellung an manchen Einrichtungen die Folge, dass weitere Aspekte oder Projekte angestoßen wurden oder auch Entscheidungen bei Ortsplanungen revidiert wurden. Die Wirkungen in die tschechische Gesellschaft hinein beurteilten die Teilnehmer des Arbeitskreises unterschiedlich, mitunter sei aber durchaus eine „therapeutische“ Dimension festzustellen. Zumal deutlich geworden sei, was an Kultur und an Räumen – und damit auch an Menschen – verloren gegangen ist. Deutsche Besucher waren enttäuscht, weil ihre früheren Orte nicht in der Ausstellung vorkommen. Im Arbeitskreis war spürbar, dass sich angesichts der Beschäftigung junger Tschechen mit dieser Thematik gute und neue Gesprächsmöglichkeiten ergeben.
Gesprächsforum 4: Gerettetes Erbe, Arbeitskreis zur Ausstellung mit Josef Jiřička (Nationalpark Böhmerwald/Šumava) und Ivan Slavík (Regionalmuseum Krummau/Česky Krumlov).
Dr. Zeman vom Rotary Club (Pilsen) stellte seinen Verband vor und betonte, dass normalerweise nur soziale Projekte unterstützt würden. Josef Jiřička beschrieb den Nationalpark Böhmerwald/Šumava und ging auf die Verfahren zur Reinigung, Wiederherstellung und Kartierung der Flurdenkmäler ein. Ferner nannte er Daten zum Buch „Gerettetes Erbe“, in dem diese Flurdenkmäler dokumentiert sind. Ivan Slavík ging auf die Rahmenbedingungen (Presse-Feedback, Ausstellungsorte) ein und nannte die Ausstellung „eine Neuentdeckung der Kulturlandschaft“. Darüber hinaus erwähnte er die frühere Besiedlung des Böhmerwaldes durch Deutsche. Seit der Wende würden sich auch Tschechen für die Geschichte dieser Orte interessieren. Als ein weiteres Projekt stellte Slavík die Via Carolina zwischen Bayern und Böhmen vor.
Gesprächsforum 5: DIE Deutschen und DIE Tschechen. Stereotypen in der Nachbarschaft.
Die Referentin Dorothee Schuchardt definierte den Begriff Stereotyp als etwas hilfreiches: Damit würden Menschen ihre Erlebnisse und Begegnungen zunächst sortieren. Gefährlich für das Miteinander würde es, wenn sich Typisierungen verfestigen, ohne auf eigene Erfahrungen zu beruhen und ohne überprüft zu werden. Sie berichtete von Besuchen in deutschen Schulklassen: bei den Schülern ist das Nachbarland bekannt für Bier, Knödel und Kommunismus. Ähnliche Stereotype von Tschechen über Deutsche stellte anschließend die Journalistin Barbora Prochazková mittels alter Karikaturen vor. Das Ergebnis der anschließenden kurzen Diskussion war, dass neben Bildung und Begegnungen es wichtig ist, dass auch Journalisten ein differenzierteres Bild vom Nachbar zeichnen. Dann könnten Stereotype überwunden werden.
Gesprächsforum 6: Die anderen Sudetendeutschen – nicht alle wollten "heim ins Reich".
Referent Dr. Otfrid Pustejovsky stellte fest, dass es in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist, dass es einen sudetendeutschen christlichen Widerstand gegeben hat. Die Quellensituation ist jedoch schwierig. Material und Informationen müssen laut Pustejovsky in erster Linie noch lebende Zeitzeugen, die diese Aktionen noch selbst erlebt haben, oder deren Nachkommen) zur Verfügung stellen. Die Ackermann-Gemeinde will dieses Thema in nächster Zeit nochmals aufgreifen und vertiefen. In der Diskussion wurde vor allem die Frage gestellt, warum dieses Thema so lange vernachlässigt wurde und warum dieses Geschichtsbild bei den Sudetendeutschen Tagen oder bei der Thematik „Vergessene Helden“ keinen Platz hat.
Gesprächsforum 7: Grenzenloses Europa – nur eine Utopie?
Festgestellt wurde, dass Europa bei den Menschen vor Ort, an der Basis oft als Bedrohung wahrgenommen wird. Als Anliegen wurde formuliert, die Menschen bei ihren Erfahrungen abzuholen und für Europa zu begeistern. Als wichtig wurde ferner gesehen, die gewachsenen Eigenheiten der verschiedenen Völker zu akzeptieren und Europa mit Geduld zu gestalten. Vor allem der Jugend sollte der Sinn Europas vermittelt werden und – für alle Generationen – das Bewusstsein geschaffen werden, dass Europa die Basis für den Frieden darstellt. Geteilter Meinung waren die Referenten wie auch die Teilnehmer des Arbeitskreises bei der Frage, ob es Sinn macht, die Bürger mehr mitentscheiden zu lassen. Als konkretes Ziel, das in der Praxis kurz- bis mittelfristig umgesetzt werden kann, wurde die verstärkte Behandlung Europas im Schulunterricht (Geschichte, Sozialkunde etc.) genannt.
Gesprächsforum 8: Sousedé, přátelé, evropané – kdo jsme? A proč jsme zde? Nachbarn, Freunde, Europäer – Wer sind wir? Und warum sind wir hier?
Dieser Arbeitskreis richtete sich ausschließlich an die tschechischen Teilnehmer, dabei wurden auch Bewohner aus Pilsen einbezogen. Konkret ging es um die deutsch-tschechischen Beziehungen, sowie um die Ziele, Ideen und Arbeit der Ackermann-Gemeinde. Helena Faberová schilderte die Entstehung und Ziele der tschechischen Schwesterorganisation Sdružení Ackermann-Gemeinde, wobei sie besonders auf die Schwierigkeiten und die Stellung des Verbandes in der Gesellschaft einging. Generalvikar Robert Falkenauer hob die geistlichen Aspekte hervor und betonte die Gemeinschaft aller Katholiken. Die Ökumene vertrat Oliver Engelhardt (Böhmischer Bruder), Anton Otte erzählte aus seinem bewegenden Leben im Spannungsfeld der jüngsten deutsch-tschechischen Geschichte. Der Arbeitskreis stieß auf gute Resonanz, etwa 40 Passanten beteiligten sich an der Diskussion und erzählten aus ihren eigenen Erfahrungen.
Text: Markus Bauer / Susanne Beckmann