Engagierte Christen braucht das Land!

Unter dem Thema „Willkommen in Budweis“ stand der Eröffnungsabend im Kulturhaus Slavie. Grußworte wechselten sich ab mit Gesprächsrunden und Musikbeiträgen. Die Moderatoren Rainer Karlitschek und Anežka Rázková sorgten für kurzweilige Beiträge.

„Wer hätte das vor 30 Jahren gedacht“, erinnerte Kulturminister Daniel Hermann an die damaligen Rahmenbedingungen mit Verfolgung und schwieriger Kontaktaufnahme. „Wir müssen die Lehren und positive Energie daraus ziehen. Es bietet sich jetzt die Chance, die Gegenwart zu gestalten. Ich freue mich, dass wir zusammen sind und gemeinsam Europa gestalten“, so Hermann. An die positiven Gesten der jüngsten Zeit im Kontext der diesjährigen Gedenktage erinnerte der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde MdEP a.D. Martin Kastler. Statt eines Gegen- oder Nebeneinanders herrsche nun im 21. Jahrhundert ein Miteinander – zumindest in weiten Teilen Europas. Daher verwies er auch auf die Brennpunkte Ukraine, die Christenverfolgung im Nahen und Mittleren Osten sowie die Flüchtlingsproblematik. Bei diesen Themen gelte es, so der Vorsitzende, mitzureden und sich nicht zurückzulehnen. Der erst einige Wochen zuvor neu geweihte Budweiser Bischof Msgr. Dr. Vlastimil Kročil drückte seine Freude über die hohe Teilnehmerzahl aus. Er nannte den großen Verlust des Lebens in den Pfarreien durch die Vertreibung, schlug aber auch vor, „in die Zukunft zu schauen und nachzudenken, was wir gemeinsam tun können“. Ein Grußwort des Passauer Bischofs Stefan Oster verlas der frühere Passauer Generalvikar und Dompropst Lorenz Hüttner. „Heute sind wir alle ein Teil des sich vereinigenden Europas“, meinte der stellvertretende Budweiser Oberbürgermeister Jaromír Talíř in seinem Grußwort, wies aber auch auf die neuen Herausforderungen (z.B. Migration) hin, die „wir nur gemeinsam lösen“ könnten.

Die Kontakte zwischen den Bistümern Budweis und Passau beschrieben jeweils aus ihren Erfahrungen in einer kurzen Runde die frühere Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde Helena Faberová, Generalvikar a.D. Hüttner und Bischof Dr. Kročil. Faberová erinnerte an die Kontaktaufnahme seitens Passauer KDFB-Frauen, was dann bis zur Diözesanebene bzw. Bischof Eder ging. „Mehrere sehr interessante Projekte“ und vor allem „sehr wichtige Freundschaften“ seien entstanden, so Faberová. Den Aspekt, dass die Passauer nicht nur materiell helfen, sondern auch „Empfangende“ sein können, betonte Dompropst a.D. Hüttner. Die Präsenz der Deutschen in seiner Heimatregion Brünn (Geburtsort Mödritz) hat Bischof Dr. Kročil in seiner Kindheit wahrgenommen und somit auch die damit zusammenhängende Geschichte. Aus der Vergangenheit die Lehren zu ziehen und positiv in die Zukunft zu schauen, war der Appell des Bistumschefs.

In einer weiteren Gesprächsrunde betonte der deutsche Botschafter in Prag Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven die „beharrliche und kontinuierliche Verständigungsarbeit der Ackermann-Gemeinde ohne Tabus“, wodurch stets neues Vertrauen gewachsen sei. Auch er verwies auf die jüngsten Gesten der Versöhnung in Tschechien und Deutschland sowie auf Gespräche auf verschiedenen politischen Ebenen. Die Ackermann-Gemeinde bezeichnete er als „Pioniere der Versöhnung“ mit dem Mut, „in schwerer Zeit aufeinander zuzugehen“. „Ich schätze sehr, was die Sdružení Ackermann-Gemeinde und die Ackermann-Gemeinde in den deutsch-tschechischen Beziehungen getan haben und tun. Es ist etwas, worauf der deutsch-tschechisch Zukunftsfonds aufbauen kann“, zollte dessen Geschäftsführer Dr. Tomáš Jelínek Anerkennung. Er stellte auch fest, dass bei den Gedenken heuer die Erinnerungen viel tiefer waren und die Vertreibung der Deutschen vielfach thematisiert wurde.

In einem weiteren Podium gaben Jaromír Talíř, Marie Smolková und Kulturminister Daniel Hermann Empfehlungen für den Aufenthalt in Budweis. Die musikalische Gestaltung des Abends lag in den Händen der Geschwister Talíř, zum Abschluss durften die Teilnehmer sogar selbst noch ein deutsches und tschechisches Lied singen.

Podium

„Europa-Lethargie – Das Leben in Frieden und Gerechtigkeit, eine Selbstverständlichkeit?“

Richtig in die thematische Arbeit ging es am Freitagvormittag mit dem Podium „Europa-Lethargie – Das Leben in Frieden und Gerechtigkeit, eine Selbstverständlichkeit?“, moderiert von der Journalistin Ludmila Rakušanová. Impulse zur Einführung gaben der Linzer Professor Dr. Helmut Renöckl, der auch an der Südböhmischen Universität Budweis lehrt, und der frühere EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik Štefan Füle. Die Entwicklungen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs charakterisierte Renöckl mit Euphorie, Resignation und schließlich Lethargie. Das in Europa verbreitete Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell der sozial moderierten Marktwirtschaft (im Kontrast zu den Modellen in den USA bzw. in Asien) erfahre angesichts der Globalisierung einen Umbruch. „Nötig wäre die Durchsetzung von Standards weltweit, aber das wird dauern“, lautete Renöckls Einschätzung. Zudem stellte er fest, dass sich gleichermaßen Menschen wie Staaten auf ihre eigenen Vorteile zurückziehen. „Kein Einzelstaat hat die Kraft, etwas allein durchzusetzen“, plädierte der Referent für Kooperation. „Die Zukunftsfähigkeit hängt nicht nur von Quantitäten ab, sondern vom kulturellen, kreativen Potenzial der Menschen“, blickte Renöckl in die Zukunft und forderte eine „Vision eines menschenwürdig orientierten Einsatzes von Technik und Wissenschaft – anders wäre es sinnlos und unverantwortlich. Und Europa hat die längste Erfahrung damit“.

Das kreative Potenzial einzubringen, forderte in seinem Statement auch EU-Kommissar a.D. Füle. „Die Welt um uns wird komplizierter und gefährlicher“, stellte er fest und sah in der Globalisierung und der damit verbundenen Werte-Konkurrenz einen der Hauptgründe. Auch anhand der aktuellen Themen Islamischer Staat und Migration machte er deutlich, dass eine Zusammenarbeit der Staaten nötig und Differenzierung angebracht sei. „Wir haben die moralische Pflicht, uns für die Menschen einzusetzen. Wenn wir in Europa Kompromisse machen, wie lange wird es dann dauern, bis wir auch Kompromisse in anderen Bereichen machen?“, wurde Füle deutlich. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen plädierte er für Hilfen in den Heimatländern und eine qualifizierte Zuwanderung. Er ging auch auf die Probleme in Südeuropa (Griechenland) und die Ukraine-Krise („nicht gegen Russland handeln und der Ukraine helfen!“) ein. Letztlich sei aber die „Beziehung zu unseren Werten und Interessen“ von Bedeutung. „Wenn wir der Leuchtturm sein wollen, müssen wir als Beispiel für die anderen wirken. Lethargie ist der schnellste Weg zu Populismus und Nationalismus“, fasste der frühere EU-Kommissar zusammen.

„Wir brauchen mehr Europa auf verschiedenen Gebieten, aber man muss die Menschen dabei mitnehmen“, schlug Botschafter Freiherr Freytag von Loringhoven in der Diskussion vor. Kulturminister Hermann erinnerte an die Entwicklung des Freistaates Bayern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber auch an die demografischen Tendenzen in fast allen Ländern Europas. „Wir müssen bereit dazu sein, ein gewisses Ausmaß an Andersartigkeit zu akzeptieren“, lautete sein Rat. Den Menschen seines Landes Tschechien attestierte er aber zu wenig Solidarität – auch wegen 40 Jahren Propaganda, die ihre Spuren hinterlassen hat.

Markus Bauer

Welche Verantwortung haben Christen in der säkularen Gesellschaft?

Der Frage, welche Verantwortung Christen in der säkularen Gesellschaft haben, widmete sich das Podium am Samstagmorgen, geleitet von Dr. Gregor Buß, dem Geistlichen Beirat der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde. Auf die Unterscheidung von Christen auf der einen und Kirche auf der anderen Seite, wenn es um Verantwortung geht, wies gleich zu Beginn seines Statements Bischofsvikar Dr. Vojtěch Eliáš aus Prag hin. Zu differenzieren gelte es ferner zwischen säkularen Gesellschaften, wo Christen eine Minderheit bzw. eine Mehrheit bilden. Eliáš betonte die Autonomie der säkularen Gesellschaft und das Akzeptieren des kulturellen und politischen Pluralismus. Das sei dann eine „Atmosphäre, in der ich um meine Werte kämpfe und nach meinen Werten lebe“, konkretisierte der Bischofsvikar. Die Verantwortung des Christen sei dann, den gesellschaftlichen Dualismus zu überwinden, zur Zusammenarbeit bereit zu sein. Es gehe nicht darum, „an die Macht zu kommen, sondern den Dialog mit der Gesellschaft zu führen – wir sollen ein Teil in der Gesellschaft sein und dort leben, die Werte des Evangeliums in der Gesellschaft vertiefen und mit allen, die die gleiche Meinung vertreten, kooperieren. Wir Christen sollen Hoffnungsträger sein. Das stellt die christliche Dimension in der säkularen Gesellschaft dar“, so Eliáš. Er griff auch die von Papst Franziskus betonte Fürsorge der Kirche für die Menschen am Rande auf, die keine Kommunikation mit der Gesellschaft haben. Dies ist für Eliáš eine „klar verankerte Solidarität – auch als Bestandteil des christlichen Lebens“.

„Eine säkulare Gesellschaft postuliert, dass es viele Meinungen nebeneinander geben muss – das ist mir zu wenig“, konstatierte in seiner Stellungnahme Staatsminister a.D. Dr. Thomas Goppel. Für ihn geht es vielmehr darum, „unsere Position neu zu formulieren, an der anderen zu messen und der Wirklichkeit als Angriffspunkt gegenüber zu stellen“. Als grundlegende Basis hierfür sieht Goppel auch die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, d.h. das christliche Menschenbild. Drei Aspekte sind für ihn im Kontext einer Verantwortung von Christen in der säkularen Gesellschaft wichtig: selbst eine Antwort geben und nicht schweigen, diese Antwort auch leben und dazu stehen und schließlich neben dem Geben und Leben diese Antwort auch wollen. Zum Gelingen könne, so Goppel, die christliche Soziallehre mit ihren Elementen Personalität, Solidarität und Subsidiarität beitragen. Aber auch Demut!

Die Abgeordnete im tschechischen Parlament für die konservative TOP 09 Nina Nováková  brachte die Verankerung für das Handeln ins Spiel – beim Christen der christliche Glaube. Auch wies sie auf die Zerschlagung katholischen Lebens zwischen 1945 und 1989 in der CSSR hin, und in den 25 Jahren seit der Wende sei die Freiheit vor allem für das Materielle genutzt worden. „Wir müssen uns so benehmen wie die ersten Christen“, beschrieb sie die Situation.

Aus seinen vielen Erfahrungen mit kirchen- und glaubensfremden Menschen berichtete der Erfurter Weihbischof Dr. Reinhard Hauke. Für ihn geht es darum, diesen Menschen Perspektiven aufzuzeigen, das Nichtchristsein zu hinterfragen. „Die Leute in Tschechien sind gläubig, aber nicht (mehrheitlich) christlich“, stellte der Vizepräsident des tschechischen Parlaments Jan Bartošek fest. Daher seien die Kommunikation und der Dialog mit diesen Menschen wichtig. „Als Christ hat man klare Grenzen und Leitplanken. Aufgabe christlicher Politik ist es, christliche Werte zu vertreten und durchzusetzen.“

Programm Sonntagvormittag

Als „besonderen Höhepunkt unseres deutsch-tschechischen Bundestreffens“ bezeichnete Bundesvorsitzender Kastler die Einheit am späten Sonntagvormittag. Zum einen aufgrund des Festvortrags des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Alois Glück, zum anderen wegen der Verleihung der Versöhnungsmedaille an Vizepremier a.D. Fürst Karel Schwarzenberg. Das Teilmotto des Treffens „Gemeinsam gefordert – gemeinsam aktiv“ nahm Glück als Thema seines Vortrages auf und erinnerte an seine langjährigen Kontakte zu Franz Olbert und die Zusammenarbeit mit ihm. „Durch ihn habe ich das Engagement der Ackermann-Gemeinde kennen und schätzen gelernt“, erläuterte der ZdK-Präsident und nannte die Ackermann-Gemeinde „Pionier des Brückenschlags zwischen Menschen“. Bei Karel Schwarzenberg würdigte Glück dessen Mut, Herzblut und Ausdauer - „Respekt für diese Lebensleistung!“ Im Blick auf die Gegenwart stellte der langjährige bayerische Landespolitiker fest, dass die Christen die am meisten unter Verfolgung leidende Gruppe sind. Doch Solidarität stehe allen Verfolgten zu, so Glück. Er verwies auf aktuelle Konfliktherde europa- und weltweit (ethnische, religiöse, politische), die einen „noch nie gekannten Strom an Flüchtlingen, Krieg, Verfolgung und Vertreibung“ mit sich bringen. Diese Entwicklungen seien eine Herausforderung gleichermaßen für Bürger, Gesellschaft, Politik und Kirchen. Allerdings gestalte sich innerhalb Europa das solidarische Handeln schwierig, obwohl für Glück nach dem christlichen Menschenbild eine besondere Verpflichtung dazu bestehen würde. „Wo ist der Leuchtturm für unsere Orientierung?“, fragte er und nannte als Antwort den Artikel 1 des Grundgesetzes. Daraus leite sich eine besondere Solidarität ab. Einen Dialog zwischen Kulturen und Religionen auf Basis des gegenseitigen Respekts sieht der ZdK-Präsident als eine der drängendsten Aufgaben, ferner müsse sich die Europäische Union wieder stärker als Wertegemeinschaft verstehen, zumal es um mehr als Geld und Wohlstand geht. Zu unterscheiden gelte es zwischen einen gesunden Patriotismus und einem gefährlichen Nationalismus, außerdem wandte sich Glück gegen manche Zentralisierungstendenzen in der EU. Besonders könnten Christen ihr christliches Menschenbild, Solidarität und Gerechtigkeit (gerechte Ordnung, Rechtsstaat), das christliche Lebensmodell (Verbindung von Freiheit und Verantwortung) und als Quintessenz die Übernahme von mehr Zukunftsverantwortung (Nachhaltigkeit) einbringen. „Engagierte Christen braucht das Land“, lautete Glücks Appell am Schluss seiner Festrede.

Markus Bauer