P. Paulus Sladek OSA
Wegbereiter der Beheimatung und der deutsch-tschechischen Versöhnung
Am 28. Januar 2008 hätte der Augustinerpater Dr. theol. habil. Paulus Friedrich Sladek, eine der profiliertesten und wirkmächtigsten Preistergestalten unter den katholischen Sudetendeutschen, seinen 100. Geburtstag gefeiert. Sein Leben und Wirken war sowohl an seinem Namenspatron wie an seinem Ordensstifter orientiert: leidenschaftliche Seelsorge, theologisch tief fundiert und mit tapferem Herzen in die Gesellschaft hineingetragen.
Als Lehrersohn wurde Fritz Sladek am 28. Januar 1908 in Trebnitz an der Sprachgrenzesüdlich von Leitmeritz geboren. Er wuchs in Böhmisch Leipa auf, wo er das Realgymnasium besuchte, direkt dem Augustinerkloster gegenüber, in das er später eintreten sollte.
Als aufgeweckter Bub fand er bald zum 1920 gegründeten „Bildungs- und Wanderbund Staffelstein“, der gerade hier eine sehr lebendige Gruppe und obendrein seit 1921 das nahe gelegene Schlösschen Schwoika als Schulungsstätte zur Verfügung hatte, vor der prägende Impulse ausgingen. Die Staffelsteiner bezogen ihren Namen aus Viktor Scheffels berühmtem Wanderlied „Wohlauf, die Luft geht frisch und rein“, weil sie mit dem katholischen Jugend-Bund Neudeutschland im „Reich“ zwar verbunden waren, in der Tschechoslowakei sich aber anders nennen mussten.
Das sehr intensiv empfundene Anliegen eine Erneuerung und Stärkung ihrer in der neuen Tschechoslowakei ganz auf sich gestellten Volksgruppe sollte auch von seinem religiösen Wurzeln her erfasst werden, und dieser Zielsetzung kam die gerade zur gleichen Zeit aufbrechende volksliturgische Bewegung entgegen, die hier ganz wesentlich von dem aus Mähren stammenden P, Pius Parsch (1884-1954) im österreichischen Stift Klosterneuburg bestimmt wurde. Und als sich nicht wenige Staffelsteiner entschlossen, dieser Aufgabe am besten als Priester zu dienen, lag das Leipaer Augustinerkloster für einige gewissermaßen auf dem Wege. Zudem war die Berufung zum geistlichen Stand sozusagen Familiengut: Bereits der Großonkel Franz Stalla (1845-1912, Pfarrer in Drum) und der Bruder der Mutter Kartl Stalla (1875-1939, Pfarrer in Saar) waren Weltpriester, der Bruder des Vaters, Johann Friedrich Sladek (1870-1939) war Prämonstratenser im Stift Tepl.
Im Schwung der Jugendbewegung war er auch als Novize im fränkischen Münnerstadt und beim Theologiestudium in Prag aufgeschlossen, ja begierig für die neu aufbrechenden Perspektiven kirchlichen Empfindens, zumal für das neue Erlebnis der Kirche als „geheimnisvoller Leib Christ“, in dem alle Glieder aktiviert sind, im muttersprachlich gestalteten Gottesdienst ebenso wie in der in die Gesellschaft wirkenden „Katholischen Aktion“. Es ist erstaunlich, wie vielfältig bald nach seiner Priesterweihe am 28. Juni 1931 und einem ersten Kaplansjahr in Böhmisch Leipa sein Wirkungskreis werden sollte: Neben seiner Vorbereitung auf die Promotion zum Dr.theol. (1933) und auch gleichauf seine Habilitation (1939) war ihm bereits der Ordensnachwuchs anvertraut. Ab 1934 vertrat er schon den durch den Weggang von Prof. Michael Schmaus (1897-1993) verwaisten Lehrstuhl für Dogmatik, aber auch auf die Kanzel der Prager Salvatokirche wurde er ais akademische Prediger für die deutscher Studentenschaft berufen. Heute ist es die Kanzel von Prof. Halik.
Gerne erzählte er später schmunzelnd, wie er da als einer der ersten Priester weit und breit einen – zunächst zu groß geratenen – „Volksaltar“ errichten ließ und zumal die Wortverbindung mit „Volk“ (wie ja schon in dem neuen begriff „Volksliturgie“) ihm großem Argwohn an höchster kirchlicher Stelle eintrug, so dass er zur Rechtfertigung vorgeladen wurde.
Unvermindert aber blieb er in diesen dreißiger Jahren weiterhin vom Bund Staffelstein beansprucht und um die Definition seines christlichen Charakters bemüht. Der Begriff „völkisch“ übte ja auf die junge sudetendeutsche Generation zunehmend eine mächtige Suggestion aus und es stand ein allen Einsatz fordernder Kampf nach zwei Seiten bevor, sich widerspiegelnd in manchen Aufsätzen von P. Paulus, die gelegentlich auch in Deutschland zu lesen waren: Auf der einen Seite stand die Erwartung an die Kirche, dass sie in der „Erweiterung der Menschwerdung Gottes den Menschen nach seiner geschöpflichen Seite ernst nimmt“, ja „die konkrete Eigenart der Menschen, Völker und Kulturen“, weil es in der gespannten Situation nicht genüge zu sagen:«Wir sind weder deutsch noch tschechisch, sondern katholisch.» Auf der anderen Seite stand die Warnung vor einer «Deutschgläubigkeit Rosenberg’scher Art», wie sie im Gefolge der Los-von-Rom-Bewegung konkret wahrgenommen wurde und überhand zu nehmen drohte. Es genügte eben auch nicht, nur deutsch und nur tschechisch zu sein, sondern gemeinsam christlich.
„Volk und Glaube“ heißt denn auch ab 1936 die Zeitschrift der Staffelsteine, bis der spektakulär zu erlebende „Anschluss“ Österreichs im März 1938 jenen Erdrutsch zu Folge hatte, der nahezu alle bis dahin noch eigenständigen, ja „aktivistisch“ gesinnten, d.h. um einen Ausgleich mit dem tschechischen Volk bemühten Gruppierungen, sich der Einheitsbewegung Henleins eingliedern ließ, die ihrerseits nicht lange danach ihre restlose „Gleichschaltung“ im Hitler-Reich erlebte.
Dabei hätte gerade das Augustinerkloster in Prag auf längere Sicht ein einzigartiger Ausgangspunkt für eine deutsch-tschechische Verständigung auf kirchlichem Boden werden können: In P. Augustin Schubert (1902-42; vgl. Mitteilungsblatt, Folge 2-2002), der wie P. Paulus deutsche und tschechische Verwandte hatte, gab es einen ebenbürtigen Partner und Mitbrüder, der rasch in der entsprechenden tschechischen Jugendorganisation „Orel“ führend wurde – er fand 1942 seinen Tod im deutschen Konzentrationslager, und P. Paulus selbst meldete sich nach zunehmender Einengung und Bespitzelung als Sudetenseelsorger schließlich freiwillig zum Sanitätsdienst in der deutschen Wehrmacht.
Es war aber eine einzigartige Fügung, dass P. Paulus so schon im Herbst 1945 in München auf den christlich-sozialen Politiker und alten Freund Hans Schütz traf und beide mit einigen weiteren von neuem aktiv werden konnten – zunächst als Helfer in der bitteren Not der ersten Nachkriegzeit, und zugleich erst recht besorgt um eine neue religiöse Fundierung ihrer Landsleute, die sie vor Verzweiflung und Hass bewahren und aus den Vertriebenen „Bausteine, nicht Dynamit“ für einen Wiederaufbau Deutschlands machen sollte. Gerade erst hatte der durch die Potsdamer Konferenz zunächst gestoppte „Abschub“ der Sudetendeutschen mit geregelten und humanen „Transporten“ begonnen, nun auch in die amerikanische Besatzungszone, da gab es schon die „Kirchliche Hilfsstelle“ in München als Anlaufadresse und die Ackermann-Gemeinde als bergenden Freundeskreis, wie auch die bundesweite Vernetzung einer wirksamen „Flüchtlingsseelsorge“ für alle Vertriebenen überhaupt im Wesentlichen als das Werk von P. Paulus gelten kann.
Und bald begann aufs Neue ein Wettlauf, als mit dem Entstehen der Bundesrepublik das Verbot für die Vertriebenen, sich zu organisieren, wegfiel, und es darum ging, ob die sich konstituierende Landsmannschaft auch einen betont christlich oder nur einen nationalen Horizont erhalten sollte. Die von P. Paulus 1949 initiierte „Eichstätter Adventsdeklaration“ von 17 Persönlichkeiten quer durch alle Parteien und die1950 folgende, von Dr. Rudolf Lodgman von Auen unterschriebene „Detmolder Erklärung“ der Sudetendeutschen Landsmannschaft sind bis heute ein Spiegel beide Tendenzen:
Auf der „uralten Schicksalsverbundenheit der Donauvölker“ lag der eine Akzent, auf der „Schicksalsverbundenheit mit Deutschland“ der andere. Und mit dem Detmolder Appell, die Volksgruppe wolle „geschlossen“ bereitstehen, womit ein „Streit um außenpolitische Wunschbilder“ abgelehnt wird, war sichtlich auch auf das in Eichstätt proklamierte „Einordnen in das große Ringen um die christlich-humanistische Wiedergeburt Europas „ gemünzt. Den Vorsprung aber, den die Seelsorge unter allen Vertriebenen damals noch gewinnen konnte, dokumentiert die am 5. August 1950 von all ihren Verbänden verkündete und christlichen Geist atmende „Charta der Heimatvertriebenen“.
In gleicher Weise war P. Paulus aber auch von seinen Mitbrüdern, den sudetendeutschen Augustinern, in Anspruch genommen, die ihre Eigenprägung nicht verliert wollten. Nach einer ersten Bleibe in Messelhausen, von wo die Flüchtlingswallfahrten nach Walldürn ihren Antrag nahmen, entstanden die Niederlassungen in Stuttgart - Sillenbuch, Günzburg und Zwiesel, aber schon ab 1950/51 gelang auch die Wiederbelebung des 1327 erstmals gegründeten Augustinerklosters in der Wiener Altstadt und in Verbindung damit die Bildung einer eigenen „Vizeprovinz Maria Trost“, der sich auch tschechische Mitbrüder Anschlossen, soweit sie der kommunistischen Verfolgung entkommen konnten.
Bis 1980 war P. Paulus Geistlicher Bundes-Beirat der Ackermann –Gemeinde und bis 1981 Leiter der „katholischen Arbeitsstelle für Heimatvertriebene/Süd“, welche die 1950 aufgelöste „Kirchliche Hilfsstelle“ ersetzte. Zu einem der Marksteine in diesen Jahren wurde 1955 seine Haidmühler Predigt bei einem deutsch-tschechischen Gottesdienst an der böhmischen Grenze, in der er im Namen seiner Landsleute um Verzeihung für alles den Tschechen angetane Unrecht bat, nachdem die gleiche Bitte das Tschechen General a. D. Lev Prchala (1892-1971) auf dem Nürnberger Sudetendeutschen Tag desselben Jahres ohne entsprechendes Echo geblieben war. Nur ein beiderseitiges Bekenntnis der eigenen Schuld, so war seine Auffassung, und eine beiderseitige Bitte um Vergebung könnten beide Völker freimachen von dem Bösen, das sie beide belaste.
Dass ihm und der Ackermann - Gemeinde solche Eigenwege Kritik aus den Reihen der Sudetendeutschen Landsmannschaft eintrugen, wiederholte sich immer wieder, z. B. auch, als er noch 1988 in einem Leserbrief mit guten Gründen die Ziffer 250.000 als zu hoch angesetzte Anzahl unmittelbarer Vertreibungsopfer unter den Sudetendeutschen in Frage stellte, wie es später auch die deutsch-tschechische Historikerkommission tat. Unermüdlich meldete er sich so noch lange richtungweisend zu Wort, und dies sowohl zu inner-kirchlichen Problemen als auch zu den Fragen der Heimatvertriebenen, wobei die Fragestellungen und Aufgaben im Grunde bis heute die gleichen geblieben sind.
Die Wende 1989 brachte einen letzten und versöhnlichen Höhepunkt in seinem Leben, als er 82-jährig am 23. Juni 1990 noch einmal die Kanzel der Prager Thomaskirche bestieg und zu Wiedereröffnung des Augustinerklosters deutsch und tschechisch predigte. Danach wurde es still um ihn, seine körperlichen Kräfte nahmen ab, geistig blieb er wach und aufmerksam bis zuletzt. Am Allerseelentag 2002 verstarb er in Zwiesel und wurde dort am 8. November von seinen Mitbrüdern und Freunden, die aus Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik gekommen, zu Grabe getragen.
P. Angelus Waldstein-Wartenberg OSB